Gelöscht (German Edition)
Naturschutzprojekts gepflanzt. Ein Teil davon wurde während der Aufstände in den 20er-Jahren abgebrannt, konnte aber inzwischen wieder aufgeforstet werden. Allerdings wachsen die Bäume und Pflanzen nun unkontrolliert und wuchern wild.
Im Unterholz raschelt und knistert es und Vögel hüpfen durch die Büsche. Vom Weg zweigt ein kaum vorhandener schmaler Trampelpfad ab, der sich in die Richtung schlängelt, aus der ich vor einer Stunde gekommen bin.
Als ich um eine Kurve biege, bemerke ich sie erst gar nicht, weil sie so still ist: Phoebe. Sie sitzt allein auf dem Boden an einen Baum gelehnt, mit dem Skizzenblock auf den Knien und völlig in ihre Zeichnung vertieft. Ein Rotkehlchen hüpft über den Boden – vermutlich ihr Motiv. Es zwitschert, und Phoebe scheint sich mit ihm zu unterhalten, indem sie leise vor sich hin murmelt. Das Vögelchen kommt immer näher zu ihr und springt schließlich auf ihren Schuh.
Ein Lächeln verwandelt Phoebes Gesicht. Ihre Augen sind schmal und stehen weit auseinander. Ihre Haare haben ganz offensichtlich seit einiger Zeit keine Bürste mehr gesehen und sie hat viele Sommersprossen. Doch als sie das Rotkehlchen anlächelt, sieht sie irgendwie anders aus – süß.
Nicht wie Phoebe.
Mir ist klar, dass Phoebe nicht lächeln würde, wenn sie wüsste, dass ich hier bin. Ich trete leise zurück, um mich nicht zu verraten, aber sie muss die Bewegung wahrgenommen haben und erschrickt. Das Rotkehlchen fliegt sofort davon.
»Verdammt!«, flucht Phoebe leise. Sie dreht sich um, weil sie wissen will, wer sie gestört hat. Als sie mich entdeckt, verzieht sie das Gesicht. »Wieso hast du dich angeschlichen?«
Ich zögere und bin hin und her gerissen zwischen Antworten und Wegrennen.
»Angeschlichen? Ich hab mich nicht angeschlichen«, verteidige ich mich. »Ich bin den Weg zurückgelaufen, und dabei habe ich zufällig mitbekommen, wie du mit dem Rotkehlchen gesprochen hast. Wie machst du das?« Wieder hat meine Neugier die Oberhand gewonnen.
»Ich habe mit keinem Rotkehlchen geredet«, antwortet Phoebe abwehrend. »Und du hast dich angeschlichen, sonst hätte ich dich ja gehört.«
Und ich merke, dass sie recht hat. Ich habe mich
angeschlichen,
wie sie es ausdrückt, allerdings nicht absichtlich. Ich habe – ohne darüber nachzudenken – versucht, nicht auf knackende Zweige zu treten und jedes Geräusch zu vermeiden.
»Kannst du mit Vögeln sprechen?«
»Sch.« Ich sehe, dass das Rotkehlchen zurück ist. Phoebe lächelt wieder, aber natürlich nicht wegen mir. Wenn ich mich bewege und der Vogel wieder wegfliegt, bekomme ich Ärger mit ihr, aber wenn ich bleibe, passt es ihr auch nicht. Was soll ich bloß tun?
Phoebe zeichnet weiter, und ich verrenke mir den Kopf, um das Bild erkennen zu können. Es ist ziemlich gut. Das überrascht mich, denn sie ist in der Klasse sonst eher Durchschnitt.
Wenig später legt das Vögelchen den Kopf zur Seite und fliegt davon. Phoebe schließt ihren Block.
»Hör mal zu: Du sagst niemandem ein Sterbenswörtchen, dass ich mit einem Rotkehlchen gesprochen habe, kapiert? Oder du wirst es bereuen.«
Ich zucke mit den Schultern. Warum sollte ich das ausplaudern und wen würde es überhaupt interessieren? Ich will gerade gehen, als ich mich doch noch einmal dazu entschließe, mich zu ihr umzudrehen und eine Sache zu klären, die mir keine Ruhe lässt und mich nervt. Es ist
die
Gelegenheit, hier sind wir unter uns.
»Was hast du eigentlich für ein Problem mit mir? Ich habe dir doch gar nichts getan.«
»Das
weißt
du nicht? Bist du wirklich so dumm, du Spitzel?«
Ich spüre, wie sich meine Hände zu Fäuste ballen, aber ich zwinge mich zu entspannen und atme tief ein. Ein flüchtiger Blick auf mein Levo sagt: 4,8 – also noch halbwegs okay.
»Hier ist niemand, der dir helfen kann, wenn du explodierst, Spitzel.« Sie lacht.
»Warum nennst du mich so?«
»Weil du einer bist. Völlig egal, wer du früher warst – jetzt bist du kein richtiger Mensch mehr. Mit dem Chip in deinem Kopf bist du ein wandelnder Regierungsspitzel, der alles registriert, was andere tun und sagen. Dir kann man nicht trauen. Wir anderen würden niemals einem Erwachsenen etwas verraten – aber ihr könnt gar nicht anders, stimmt doch, oder? Du und die anderen Slater, ihr spioniert Menschen aus und als Nächstes sind sie verschwunden.
Das ist deine Schuld.«
Sie steht auf und stapft auf mich zu. Ich bin wie erstarrt, als sie mich beiseitestößt, um auf den Pfad zu
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