Gelöscht (German Edition)
doch ich schenke der Skizze nur meine halbe Aufmerksamkeit, während mein Kopf die Möglichkeit einer
Lucy
durchspielt.
Vielleicht hat Lucy Brokkoli gehasst und Katzen gemocht.
Sie wurde als vermisst gemeldet. Irgendjemand da draußen will wissen, wo sie sich befindet und was mit ihr geschehen ist. Vielleicht ihre Eltern – vielleicht lieben sie sie und wollen verzweifelt wissen, ob es ihr gut geht.
In diesem Fall hätte es keinen Sinn, falls ich Lucy bin – falls ich Lucy war –, Kontakt mit ihnen aufzunehmen, oder? Lucy geht es nicht gut, sie ist mehr oder weniger tot. Sie existiert nicht mehr. Sie ist geslated worden.
Sie starrt mich von meiner Zeichnung an. Ich habe sie ohne die Katze gemalt, aber ihre Augen sind dieselben. Ich stehe auf, um in den Spiegel zu sehen, dann wieder auf das Bild. Meine Augen. Sie sehen jünger, aber auch glücklicher aus, selbst ohne Katze.
Diese Zeichnung habe ich mit der linken Hand gemalt, ohne mich groß darauf zu konzentrieren. Sie ist gut, sogar besser als gut. Lucy sieht aus, als könnte sie jeden Augenblick aus der Seite steigen und in mein Zimmer treten oder sich umdrehen und auf diesen … Berg steigen?
Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Hinter Lucy habe ich einen langen Abhang gezeichnet, der sich zu ihrer Linken erstreckt – ein Panorama, das ich noch nie mit eigenen Augen gesehen habe: Berge. Auf dem Foto waren keine zu sehen gewesen.
Am nächsten Morgen ist Sebastian immer noch verschwunden.
Normalerweise liegt er jeden Morgen auf meinem Bett. Aber das ist jetzt schon der zweite Tag, an dem ich aufwache und ihn nicht neben mir finde oder zumindest die warme Stelle, auf der er gerade noch lag.
Er ist auch nirgendwo zu sehen, als Amy und ich die Treppe hinuntergehen. Doch wir sind überrascht, als wir Dad Zeitung lesend im Esszimmer antreffen, während Mum in der Küche hantiert und in Windeseile das Frühstück vorbereitet. Sebastians Fressen vom Vorabend liegt immer noch unberührt in seiner Schale.
»Wo ist Sebastian?«, frage ich Mum.
»Keine Ahnung. Ich hab genug zu tun, da kann ich nicht auch noch diesen dummen Kater suchen. Wahrscheinlich jagt er gerade eine Maus oder besucht einen Freund.«
Amy sieht von ihrem Müsli auf. »Ich hab ihn auch schon seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen. Dad, warst du bereits im Schuppen?«
Dad schaut von seiner Zeitung auf. »Ich suche nach ihm, wenn ich aufgegessen habe«, sagt er und verschwindet wieder hinter seiner Lektüre.
»Manchmal versteckt sich Sebastian dort und wird dann versehentlich eingesperrt«, erklärt mir Amy.
Aber ich werde mein ungutes Gefühl nicht los. Wenn Kinder verschwinden können und nichts dagegen unternommen wird, was passiert dann erst mit Katzen?
Ich mache mich besonders schnell für die Schule fertig und suche dann im Garten nach Sebastian. Der Schuppen hinter dem Haus ist abgeschlossen und es gibt kein Fenster. Ich rufe nach ihm und lausche an der Tür – keine Reaktion.
Ein
Tuut-tuut
ertönt von der Straße: Jazz ist da.
Ich laufe ums Haus herum und sehe, dass Amy schon eingestiegen ist.
»Los, beeil dich. Wenn wir zu spät zur Schule kommen, will Mum bestimmt, dass wir wieder den Bus nehmen.«
Während der Fahrt suche ich mit den Augen die Gärten und Gehsteige nach Sebastian ab, entdecke aber nichts. Allmählich bekomme ich Angst um ihn, weil hier so viele Autos unterwegs sind.
Amy dreht sich um und bemerkt meinen suchenden Blick. »Mach dir keine Sorgen! Ich bin mir sicher, dass er wieder zu Hause ist, wenn wir heimkommen.«
»Was ist denn los?«, erkundigt sich Jazz.
»Sebastian ist verschwunden«, erkläre ich ihm.
»Katzen sind Entdecker, genau wie ich. Sie wollen die Welt erkunden.«
Amy rollt genervt mit den Augen. »Du musst es ja wissen, Kolumbus.«
»Was ist mit dem Schuppen im Garten?«, erkundige ich mich.
»Was meinst du?«, fragt Amy.
»Es gibt keinen Schlüssel dazu, ich hab überall nachgesehen. Jedenfalls konnte ich ihn nicht bei den Hausschlüsseln finden, die im Flur hängen.«
Amy zuckt gelangweilt mit den Schultern. »Keine Ahnung. Nur Dad benutzt den Schuppen.«
»Wahrscheinlich ist er voller Männerkram«, meint Jazz. »Gartengeräte und Rasenmäher und so.«
»Nein. Die sind in einem anderen Schuppen«, entgegne ich. Ich weiß das, weil ich vor ein paar Tagen Laub zusammenkehren musste. Mir ist nicht wohl bei der Sache. Seit ich hier wohne, ist mir Sebastian wie ein Schatten gefolgt. Wo steckt er bloß?
Jazz drückt aufs Gas und
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