Geloescht
Probleme gehen mir durch den Kopf und verlangen Aufmerksamkeit. Der Wecker für die Schule klingelt früh, aber es steht auÃer Frage, noch einen Tag zu Hause zu bleiben. Ein braver kleiner Slater würde das nicht tun, und man hat mir gesagt, dass ich mich von Ãrger fernhalten soll. Aber wie bringe ich den heutigen Tag bloà hinter mich, wie kann ich normal sein und so tun, als wäre nichts geschehen?
Setz einen Fuà vor den anderen und mach einen Schritt nach dem nächsten.
Also stehe ich auf, ziehe die Schuluniform an und kämme meine Haare. Ich gebe vor zu frühstücken. Und warte im Nieselregen mit verschränkten Armen und zitternd vor Kälte auf den Bus. Auch heute fahre ich nicht mit Jazz und Amy, weil sie immer noch ihr Praktikum macht.
Als der Bus kommt, kann ich mich nicht überwinden, nach hinten zu Bens Platz zu gehen, also setze ich mich auf die einzige andere freie Bank. Wir haben schon die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als mir einfällt, dass das ursprünglich Phoebes Platz war. Ich bemerke ein paar spitze Blicke, die mir zeigen, dass es meinen Mitschülern nicht gefällt, dass ich hier sitze. Aber merkt überhaupt jemand, dass hinten ein geslateter Junge fehlt?
Während des Unterrichts und in den Pausen gibt es kein Geflüster wie nach Phoebes Verschwinden. Nicht dass ich die Frage nach Ben beantworten könnte, aber dass sie nicht gestellt wird, nagt an mir. Bemerken die anderen seine Abwesenheit nicht, ist es ihnen egal oder trauen sie sich nicht zu fragen?
Dann ist es so weit. Ich schleppe mich in den Bio-Unterricht. Vor dieser Stunde habe ich mich die ganze Zeit gefürchtet. Kein Ben neben mir auf der hintersten Bank und Hatten mit seinem wissenden Blick, der alle meine Schutzmechanismen aushebelt. Nachdem wir alle unsere Karten gescannt und uns gesetzt haben, steht er vorn auf. Heute trägt er ein dunkelblaues Hemd, das den blassen Farbton seiner blauen Augen betont. Hatten setzt sein langsames Lächeln auf â ein paar Mädchenseufzer folgen. Er beginnt die Stunde und unterbricht sie direkt wieder. Er sieht sich im Raum um.
»Fehlt heute jemand?«
Die Schüler wechseln vieldeutige Blicke und plötzlich verstehe ich: Sie wissen es. Sie haben verstanden, dass Ben nicht da ist, aber das Thema ist tabu. Niemand antwortet.
»Kommt schon«, sagt Hatten. »Ich habe in dieser Klasse erst zweimal unterrichtet, ich kann noch nicht alle Namen kennen. Wer fehlt?«
Sei ruhig, sag nichts.
»Ben. Ben Nix ist nicht da.« Die Worte brechen aus mir heraus. Irgendein Drang lässt mich seinen Namen laut aussprechen. Um Ben wieder real zu machen und ihn nicht wie jemanden zu behandeln, der nie existiert hat, der nicht zählt.
»Wo ist er?«, fragt Hatten. Er sieht mich an â und da ist irgendetwas. Ein amüsiertes Leuchten, wie bei einem Katz-und-Maus-Spiel.
Er weià es
.
»Ich habe keine Ahnung«, sage ich wahrheitsgemäÃ.
»Weià es dann jemand anders?«, fragt er in den Raum hinein. Stille. »Nein? Vielleicht ist er einfach krank.«
Und damit fährt er mit dem Unterricht fort.
»Kyla, warte. Ich möchte noch mit dir sprechen.« Hatten lächelt und hält den letzten Mädchen die Tür auf, die auffallend lange bei ihm stehen geblieben sind. Sie werfen mir einen abfälligen Blick zu und stolzieren hinaus.
Hatten folgt ihnen, sieht nach links und rechts in den Flur, kommt dann wieder zurück und schlieÃt die Tür. Er lehnt sich dagegen.
Ich sage nichts.
Er lächelt, aber es wirkt eher wie ein irres Grinsen. »Du bist es«, sagt er.
»Was? Was meinen Sie?«
»Du bist es. Ich war mir sicher, dass du es schaffen würdest.«
»Ich weià nicht, wovon Sie sprechen.«
Er geht auf mich zu, doch ich weiche aus, aber in die falsche Richtung â in die Zimmerecke. Er kommt näher und ich sitze in der Falle. Er legt eine Hand an die Wand über meiner Schulter. Er berührt mich nicht, aber er ist mir so nah, dass ich die Wärme seines Körpers spüren kann.
Er beugt sich vor. »Hörst du die Stimmen, Kyla â oder wie du auch immer heiÃt? Die Stimmen in deinem Kopf?«, flüstert er.
Mein Herzschlag dröhnt in meinen Ohren.
»Hör auf die Stimmen. Was sagen sie dir in diesem Augenblick?«
Lauf!
Ich mache mich los und renne zur Tür.
»Wie fühlt es sich an?«
Ich drehe mich um, damit ich ihn
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