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Geloescht

Geloescht

Titel: Geloescht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teri Terry
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einzuprägen, und schließe dann die Augen. Ich möchte in Gedanken dorthin gelangen. Aber es funktioniert nicht, denn das Bild, das vor meinem geistigen Auge erscheint, ist zweidimensional. Ich habe keine
Erinnerung
an den Ort. Meine linke Hand scheint mehr zu wissen als mein Gehirn.
    Eine Bibliothekarin sieht neugierig durch den Raum zu mir herüber und stellt ihre Teetasse auf den Tisch. Ich schließe das Buch, stelle es wieder ins Regal zurück und verschwinde schnell.
    Mr Gianelli möchte, dass wir heute mit unseren Zeichenblöcken ins Freie gehen. Der Wetterbericht, den ich gestern bei Mac gesehen habe, war wohl falsch: keine Spur vom
Regen, Regen, Regen,
den sie für heute angekündigt haben.
    Unser Kunstlehrer läuft mit uns den kurzen Weg herunter zu dem Wald um Cuttle Brook und lässt sich mit seiner Thermoskanne voller Tee auf einer Bank nieder. »Los! Husch, husch! Zeichnet etwas. Wir treffen uns in einer Stunde wieder hier und ihr überrascht mich mit euren Werken.«
    Alle laufen los, die meisten in Zweier- oder Dreiergruppen. Verschlungene Pfade führen in alle möglichen Richtungen. Ich beobachte, in welche Richtung Phoebe läuft, und gehe dann in die entgegengesetzte.
    Pfade kreuzen sich, und ich wähle den aus, der in den dichtesten Teil des Waldes führt. Ich laufe eine ganze Weile, um so viel Abstand wie möglich zwischen mich und die anderen zu bringen. Als ich zu einem großen Stein gelange, setze ich mich und beginne, die Bäume zu skizzieren, die jetzt im Herbst fast kahl sind. Das Gras entlang des Baches ist vertrocknet und verwelkte Blätter liegen überall auf dem Waldboden.
    Ich bin völlig allein und wechsle den Stift in die linke Hand. Was passiert, wenn ich zeichne und mich nicht darauf konzentriere, sondern meinen Geist frei wandern lasse?
    Ich denke an Lucys Kätzchen. Es war grau gefleckt und hatte kurzes Fell, wie ein kleiner Ball, der jederzeit sprungbereit ist. Ich zeichne das Kätzchen, wie es einem Stück Faden hinterherspringt. Die Kleine stellt sich unsicher auf die Hinterbeine, richtet sich auf und springt.
Die Kleine?
Ja, irgendwie bin ich mir sicher, dass es eine Katze ist und kein Kater.
    Aber heute gelingt es mir nicht, mich in meiner Zeichnung zu verlieren. Statt eines grauen Kätzchens erscheint Sebastian auf meinem Blatt. Besorgt und nervös klappe ich meinen Zeichenblock zu und laufe den Pfad zurück.
    Laut unserer Biologielehrerin wurden die Bäume in diesem Wald vor über 50 Jahren im Rahmen eines Naturschutzprojekts gepflanzt. Ein Teil davon wurde während der Aufstände in den 20er-Jahren abgebrannt, konnte aber inzwischen wieder aufgeforstet werden. Allerdings wachsen die Bäume und Pflanzen nun unkontrolliert und wuchern wild.
    Im Unterholz raschelt und knistert es und Vögel hüpfen durch die Büsche. Vom Weg zweigt ein kaum vorhandener schmaler Trampelpfad ab, der sich in die Richtung schlängelt, aus der ich vor einer Stunde gekommen bin.
    Als ich um eine Kurve biege, bemerke ich sie erst gar nicht, weil sie so still ist: Phoebe. Sie sitzt allein auf dem Boden an einen Baum gelehnt, mit dem Skizzenblock auf den Knien und völlig in ihre Zeichnung vertieft. Ein Rotkehlchen hüpft über den Boden – vermutlich ihr Motiv. Es zwitschert, und Phoebe scheint sich mit ihm zu unterhalten, indem sie leise vor sich hin murmelt. Das Vögelchen kommt immer näher zu ihr und springt schließlich auf ihren Schuh.
    Ein Lächeln verwandelt Phoebes Gesicht. Ihre Augen sind schmal und stehen weit auseinander. Ihre Haare haben ganz offensichtlich seit einiger Zeit keine Bürste mehr gesehen und sie hat viele Sommersprossen. Doch als sie das Rotkehlchen anlächelt, sieht sie irgendwie anders aus – süß.
Nicht wie Phoebe.
    Mir ist klar, dass Phoebe nicht lächeln würde, wenn sie wüsste, dass ich hier bin. Ich trete leise zurück, um mich nicht zu verraten, aber sie muss die Bewegung wahrgenommen haben und erschrickt. Das Rotkehlchen fliegt sofort davon.
    Â»Verdammt!«, flucht Phoebe leise. Sie dreht sich um, weil sie wissen will, wer sie gestört hat. Als sie mich entdeckt, verzieht sie das Gesicht. »Wieso hast du dich angeschlichen?«
    Ich zögere und bin hin und her gerissen zwischen Antworten und Wegrennen.
    Â»Angeschlichen? Ich hab mich nicht angeschlichen«, verteidige ich mich. »Ich bin den Weg zurückgelaufen, und dabei habe ich

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