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Gemischte Gefühle

Gemischte Gefühle

Titel: Gemischte Gefühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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einen imaginären Punkt an der Wand. „Ich erinnere mich nicht.“
    „Ich habe ihm die kleinen roten Pillen gegeben. Deine Ration war auch dabei.“
    „Meine Ration auch? Dann bin ich mitschuldig.“ Ihr kleiner fischschuppenfarbener Körper sackte in sich zusammen.
    Krabbe krabbelte zu Spica und umfaßte ihre Schulter. „Keine Angst, Goldauge, ich nehme alles auf mich!“
    Er erzählte ihr den Tauschhandel mit dem Elektrodenphysiologen, der sein Freund war, obgleich er einer anderen Enzymgruppe angehörte. Über das Zustandekommen dieser Freundschaft schwieg er sich aus. Eine Zufallssympathie wie sie auch bei Begegnungen im Unterwasseralltag vorkommt.
    Krabbes Farbsinn wurzelte – trotz Holo-Color-TV – ausschließlich in seinem Biotop. Veilchenblau, Tanngrün, Quittengelb, Tulpenrot, Sonnenuntergangsorange oder Brombeer kannte er nicht. Dafür wußten seine Augen alle Schattierungen von See-, Farn- und Algengrün zu unterscheiden. Am liebsten mochte er Tarbuttbraun, Langustenrot, Korallenrosa, Quallenlila, Papageienfischgelb und Pfahlmuschelschwarz. Schwarz war für ihn eine echte Farbe. Im Augenblick allerdings fühlte er weder Lust noch Neigung, um Spica das ganze blitzende Farbfeuerwerk zu beschreiben, das nach dem Abfräsen der Mittelzacke seiner Trident-Antenne in seinem Gehirn explodierte, rotierte und implodierte. Minutenlang hatte er sich auf dem Kabinenboden gewunden und wie ein erstickender Fisch auf dem Trockenen nach Luft geschnappt. Gebeutelt von unbekannten Kräften hatte er zwischen Schüttelfrostanfällen und Schweißausbrüchen gestöhnt und geschrien, bis der Freund es mit der Angst zu tun bekommen hatte. Mit Mühe und Not hatte der Physiologe ihn in die Taucherkombination gesteckt und ihn kurz entschlossen unter dem Vorwand einer Rettungsübung aus der Notluke des Aquacontainers gesprengt. „Jetzt aber“, schloß Krabbe seinen Bericht, „kommt es mir vor, als ob ich wer weiß wohin zurückgefunden habe, in etwas, das einmal meine Heimat war.“
    „Heimat? Ist das ein Ulkwort? Hab’ ich noch nie gehört.“ Die ganze Zeit über hatte sie sich nicht gerührt. Nun musterte Spica ihn mit einem mißtrauischen Seitenblick. „Ich muß dich der Zentrale melden, Krabbe.“
    „Das sagst du nur, weil du manipuliert bist. Von allen Enzymschwestern bin ich zu dir gekommen, Spica. Du warst das einzige Zielobjekt für mein Geheimnis.“
    „Weshalb exakt ich?“ Sie rückte von ihm ab.
    „Weil auch du den Himmel sehen willst und die Sterne. Einen ganzen Tag lang, hast du gesagt, und eine ganze Nacht.“
    „Das klingt lyrisch. Lyrik ist verboten!“ Sie schickte sich an, in ihren kupferfarbenen Overall zu schlüpfen, was auf dem Wasserbett eine Menge Balancegefühl voraussetzte.
    „Du wolltest sogar einen Hund. Das ist auch verboten!“ erinnerte Krabbe sie und half ihr beim Anziehen. „Du bist etwas Außergewöhnliches, Spica. Du stehst über der Norm.“
    „Ich habe mich damit bereits verdächtig gemacht.“
    Krabbe drehte den Ionenaktivator auf Maximum. Ein leises Flirren, das man körperlich zu spüren glaubte, erfüllte die Kopulationszelle.
    Krabbe kniete sich entschlossen vor Spica auf die Glucksmatratze. „Weißt du, was ich vorhabe? Ich werde auftauchen. 1 “
    Das Mädchen schloß die Magnetbänder ihres Overalls bis zum Hals. „Das kannst du nicht, Krabbe! Die Schutznetze über uns lassen niemanden an die Oberfläche. Die Zuchtalgenteppiche würden dich ersticken.“
    „Dann werde ich zur freien Fahrrinne tauchen.“
    „Dort würdest du vom Fanggürtel der fleischfressenden Pflanzen erwürgt werden.“ Spica verzog den Mund. „Falls dich nicht vorher einer der radargesteuerten Killerwale abfängt.“
    „Aber ich will doch nur ein Mal, ein einziges Mal, echte Luft atmen, freie Luft!“ hielt ihr der Junge mit verzweifelter Entschlossenheit entgegen.
    „Deine Lungen würden dabei zerplatzen.“ Ihr Ton klang erschreckend sachlich. „Wer schon so lange das Kunstgemisch inhaliert wie wir, für den bedeutet die Rückkehr in die freie Atmosphäre den Tod.“
    Krabbe schlug mit der Faust auf das Wasserkissen, daß es laut platschte. „Ich will und ich werde es versuchen.“
    „Wer den Draufgänger spielt, geht drauf, lautet die psychomathematische Formel.“
    „Begreifst du denn nicht? Die Bonzen haben uns in die Tiefe verbannt, damit sie oben mehr Freiraum haben!“
    „Sie haben uns nicht verbannt, sie haben uns auserwählt. Wir sind das neue, katastrophensichere

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