Gemischte Gefühle
mochten die beiden im Wartezimmer von ihm gehalten haben? Ob er für sie nun eine Memme war?
Der Mann, der ihm den Ablehnungsbescheid überreichte, hatte auf Christian den Eindruck hinterlassen, als fühle er sich in seiner eigenen Haut nicht wohl, aber wahrscheinlich mußte das so sein. Es gab ja Psychologen, die Programme ausarbeiteten, die jeden Delinquenten glauben machen sollten, alle seien ausnahmslos auf seiner Seite. Aber letztlich entschieden eben doch die Oberen, und dann gäbe es ja noch die Sachzwänge …
Christian las viel, aber das hatte offenbar nicht genügt. Der Mann hatte ihm mitgeteilt, daß sein Intelligenzquotient mit einhundertzehn zu niedrig läge, und ihn dabei mit einem derart bedauernden Blick angesehen, als sei das gleichbedeutend mit mildem Schwachsinn. Natürlich wisse man seine Einsatzfreudigkeit zu schätzen, aber solange ein derartiges Überangebot an Abiturienten bestünde … das könne er doch sicher verstehen. Gerade in heutigen Zeiten sei es außerordentlich wichtig, eine Armee zu haben, die nicht nur schlagkräftig sei, sondern … Er möge bitte entschuldigen, aber die Elektronik werde ja auch immer komplizierter und Offizier werden könne man kaum noch ohne Ingenieursausbildung.
„Das ist ja alles schön und gut, die mögen ja von ihrem Standpunkt aus recht haben“, murmelte Christian vor sich hin, „aber was wird nun in Zukunft aus mir?“
Hättest eben die Lehre nicht abbrechen sollen. Jetzt mußte sehen, wo du bleibst.
Erst jetzt spürte er, wie hungrig er war. Den ganzen Tag hatte er sich treiben lassen. Er dachte an seine Eltern, die jetzt zu Hause saßen und auf die frohe Botschaft warteten. Christians Vater ging seit sechs Jahren stempeln.
Eins der Motorradmädchen lächelte ihm zu und deutete mit einer für ihn obszön wirkenden Zungenbewegung an, daß sie nicht abgeneigt war, mit ihm nähere Bekanntschaft zu schließen. Christian errötete, steckte beide Hände in die Hosentaschen und ging wie jemand nach Hause, den man ein Messer in den Rücken gestoßen hat.
Devra Fenriss liegt ausgestreckt auf einem Bärenfell und hat den Blick gegen die Decke gerichtet. Ihre Blauaugen sind gläsern. Eine hellblonde Locke ist ihr über die makellos glatte Stirn gefallen und berührt sanft die langen, seidigschwarzen Wimpern. Ihr Mund ist halb geöffnet. Wäre jemand da, könnte er die perlweißen Zähne und die rosige Spitze ihrer Zunge sehen, die sich hin und wieder zwischen ihre Lippen schiebt. Sie liegt äußerlich entspannt da – und doch tobt es in ihrem Inneren. Ihr Geist ist weit fort, seit zweiundachtzig Minuten schon, lebt in einer alternativen Zeitzone und ist gefangen im Körper einer jungen Frau, die, ein gebogenes, doppelschneidiges Schwert in der Hand, durch eine staubbedeckte Landschaft schreitet. Zwei Monde sind am Himmel. Zerklüftete Bergrücken erheben sich im Hintergrund. Kakteen, sieben Meter hoch, säumen ihren Weg. Hinter ihr, geführt an einem ledernen Zügel: ein grüngeschuppter Drache mit gestutzten Flügeln. Die rote Sonne, ein ersterbender Ball, gibt nur wenig Wärme ab.
Devra Fenriss sieht Die letzten Tage der Menschheit von Gilbert Palland in einer adaptierten Version von Thomas Zorn. Aber auch das stimmt nicht ganz, denn sie sieht Aline und ist sie gleichzeitig. Aline, die Amazone, gerade aus den schmutzigen Folterkellern der äonenalten Stadt Zanthor entronnen, auf dem Weg nach Norden, in die Freiheit, in grünere Gefilde. Die Folge neigt sich dem Ende zu, wie Devra Fenriss bemerken würde, wenn sie in diesem Moment sie selbst wäre (was sie nicht ist), denn am kaltgrauen Himmel ziehen sich finstere Sturmwolken zusammen und deuten an, daß Thomas Zorn noch immer auf ein Cliffhanger-Ende schwört.
Devra Fenriss liegt ausgestreckt auf einem Bärenfell und hat den Blick gegen die Decke gerichtet. Sie ist jung und schön und gutgebaut und körperlich und geistig doch woanders. Sie ist nackt und begehrenswert und eines der meistgefragtesten 3-D-Standmodelle. Sie ist stolz auf sich und ihren Erfolg und darauf, daß man sie, und wenn sie nur über die Straße geht, überall erkennt und um ein Autogramm bittet. Sie liebt es, berühmt und schön und reich (was sie, gemessen am Einkommen wirklich Reicher natürlich nicht ist) zu sein, und es wühlt sie auf, daß Hunderttausende, wenn nicht Millionen, die SensiFilme am liebsten sehen, in denen sie (oder ihr Image) mitspielt. Sie erhält pro Tag tausend Verehrerbriefe, die sie nicht liest,
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