Gemischte Gefühle
Bettrand, stand auf und sagte: „Einen Moment mal. Wo bin ich hier überhaupt? Wie komme ich hierher? Was …“
„Sie sind im Hotel Esplanade. Es gehört mir. Sie kamen hierher, weil einer unserer Leute sie hierhergebracht hat.“
„Sie meinen … Jemand hat mich aufgelesen?“
„Ein Nachrichtenteam der SensiTivideo war gerade in der Nähe, als Sie von diesen Trunkenbolden überfallen und zusammengeschlagen wurden.“
Wußte Brand wirklich nicht, was geschehen war, oder log er ihn an? Wollte er ihm lediglich eine Brücke bauen? Gerber sah noch einmal unkonzentriert auf den Scheck. Dieser Harras hatte recht gehabt. Er war fertig. Jeder in der Branche wußte das. Er war ausgebrannt, leer, bekam nichts mehr hin. Die Figuren, die er erfand, verschwammen vor den Augen der Teilnehmer, wenn sie nur … Es war unmöglich, daß Brand davon nichts gehört hatte.
Gerber setzte sich auf die Tischkante und sagte: „Lassen Sie uns Klartext reden, Herr Brand. Sie brauchen mich vielleicht, aber … aber doch sicher nicht als Fantast.“ Seine Stimme brach beinahe, als er die letzten Worte aussprach.
Brand kniff unbehaglich die Lippen zusammen und schickte den anderen Mann hinaus. Als er gegangen war, beugte Brand sich vor und sagte: „Was ich über Ihre Produktionen gesagt habe, entspricht der Wahrheit. Ich …“
„Kommen Sie zur Sache“, sagte Gerber heiser. Er sehnte sich nach einer Zahnbürste und anschließend nach einer Zigarette.
„Wenn Sie als Fantast bei uns arbeiten wollen – oder als Realisator –, stehen Ihnen bei der SensiTivideo alle Türen offen, aber … offen gestanden, würde ich Sie lieber in einer anderen Funktion sehen.“ Brand sah ihn offen an.
„Und in welcher?“ Gerber dachte an den Scheck, und ihm fiel ein, daß man von ihm vielleicht einen Mord verlangte.
„Als Mann zur besonderen Verwendung“, erwiderte Brand. „Als Betreuer unserer Fantasten vielleicht oder als Koordinator verschiedener Serien. Als Unterhändler …“
Gerber wurde hellhörig. Geschickt, wie man die Funktion, die man für ihn bereithielt, in einer Reihe anderer verpackt hatte.
„Das letzte würde mich besonders interessieren“, sagte Gerber. „Wie würde mein Funktionsbereich dort aussehen?“
Brand sah ihm in die Augen und sagte: „Sie würden Verhandlungen führen.“
„Mit wem?“
„Nun … zum Beispiel mit der Phantasmagona.“
Das war es also. Warum auch nicht? Immerhin kannte er den ganzen Laden aus dem Effeff. Vielleicht sollte er auch ehemalige Kollegen abwerben? Konzepte stehlen lassen? Den Phantasmagoria-Fantasten miese Konzepte eintrichtern? Für einen guten Mann gab es in dieser Beziehung eine Menge zu tun. Er hatte immer noch Beziehungen genug, die er ausbauen, und abgelaufene, die er wieder aufpolieren konnte. Und das Gehalt … Gerber wedelte mit dem Scheck, und Brand sagte sofort: „Das ist natürlich nur für das erste Halbjahr.“
„Was“, sagte Gerber, dem erst jetzt richtig zu Bewußtsein kam, daß Brand ihn für einen Dreckskerl und käuflichen Verräter hielt, „muß ich konkret für dieses Geld hier tun?“
Die Antwort ließ ihn beinahe wanken.
„Sie sollen die Fusionsverhandlungen zwischen der SensiTivideo und der Phantasmagona führen, weil wir von Ihnen ganz sicher wissen, daß Sie niemand bestochen hat.“
Gerber setzte sich auf das Bett zurück. Er hatte alles erwartet, aber nicht das.
Christian war wie benommen, als er auf der Rolltreppe stand, sich aus der von wimmelndem Leben erfüllten Unterführung heraustragen ließ und die kalte Luft der Oberfläche auf seiner Haut spürte.
Er hatte keinen Blick für die kichernden Mädchen, die vor der auf Massenabfertigung spezialisierten Imbißstube standen und lässig die lederbezogenen Sättel der Motorräder betätschelten, die irgendwelchen anonymen Rockern gehörten. Er sah weder die mit Einkaufstaschen beladenen Hausfrauen, die geschäftig hin und her eilten, noch den schmutzigen Tramp, den irgendein ihm unbekanntes Schicksal aus der Bahn geworfen hatte und der nun vor dem Schwebebahnhof um milde Gaben bettelte. Den ältlichen Polizisten, der stolz seine im Ölkrieg erworbenen Orden zur Schau trug, ignorierte er bewußt, denn das erinnerte ihn daran, daß er versagt hatte.
Er blieb am Ende der Rolltreppe stehen, lauschte dem Quietschen der verborgenen Antriebsmaschinerie und dachte nach. Sie hatten ihn nicht genommen, na gut. Aber das Allerschlimmste war, daß er sich zu Tränen hatte hinreißen lassen. Was
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