Gemischte Gefühle
ihn urplötzlich ein Hieb mit einem San d sack auf den Hinterkopf? Erwartet ihn ein Mann von einem anderen Planeten, um sich mit ihm über Schopenhauer zu unterhalten? Eine strammärschige Blondine, die in verze h rendem Maße darauf brennt, ihm die Hand zu küssen? I wo! Seine leibliche Schwester hat die Tür mit dem schmiedeeisernen Rankengitter über der Drahtve r glasung aufgerissen. Ja, wieder ist es seine teure leibliche Schwester, die jetzt auftritt, als wäre dies Vorortkaff die letzte Metropole der Welt – aber was konnte man denn a n deres erhoffen? Der Durchschnittsleser darf sich ja nun wir k l ich nicht zuviel von einem Text versprechen.
Jedenfalls zieht euer blauäugiger Science Fiction-Schriftsteller nicht eben eine Miene wie angesichts seiner verloren geglaubten Liebe, als er im Türrahmen seine leibl i che Schwester erblickt, ein inkarniertes Heiligenbildchen, ein heilsamer Schock für jeden Uneingeweihten, zum Be i spiel Anrufer jenes Notariats, dem sie seit langem unermü d lich ihre besten Jahre opfert, die aus ihrer nur vom Nikotin rauchigen Stimme die kühnsten Schlußfolgerungen ziehen. Und seine Miene verfinstert sich gar noch, als er, während er durch die Zimmer streift, Zerstörungen gewalttätigen Wah n witzes sieht: ausgehängte Türen, heruntergerissene Wan d schränke, Kleckse von Ketchup und Marmelade an den Tap e ten, überall Häufchen zusammengekehrter Sche r ben von Bierflaschen, sämtliche Fenster eingeworfen – von innen nach außen. „ Siehst du das? “ wendet seine Schwester, ihm auf dem Fuße gefolgt, sich hinterrücks an ihn. „ Siehst du das? “ Mit zittrigen Fingern entzündet sie sich eine Zig a rette.
„ Selbstverständlich sehe ich das “ , schnauzt euer Autor, denn er hat ja Augen im Kopf. „ Ich habe doch Augen im Kopf. “ Er schüttelt den Kopf, worin er diese Augen hat. „ Mann, Mann, ist das eine Kacke. “ Ein Autor soll sich e i gentlich möglichst wenig wiederholen, aber das ist jetzt auch schon scheißegal. Kaffeedurst peinigt ihn, sein ständiger innerkosmischer Begleiter, Folge seines Blutunterdrucks, und er schielt über die versauten Arbeitsflächen der Küche und besudelten Tische, um womöglich eine Kaffeekanne zu erspähen, aus der Dampf quillt, oder eine Thermoskanne, die verdächtig nach heißer schokoladenbrauner Füllung au s sieht. Eine gewisse Ratlosigkeit hindert ihn daran, schlich t weg nach Kaffee zu fragen: Er weiß nicht, ob er seiner von Hysterie gehetzten leiblichen Schwester in dieser Situation so etwas zumuten kann. Er wendet sich unschlüssig hin und her, windet sich auf der Stelle, hebt die Hände, läßt sie si n ken: Hier nach dem rechten schauen, das kann nur heißen, wieder gehen und statt dessen die Handwerker kommen la s sen. „ Hast du inzwischen irgend etwas unternommen? “
„ Ja, meinen Psychiater verständigt. “
„ Was für ein Quatsch! In der Psychiatrie sind doch genug Psychiater! “
„ Es versteht sich wohl von selbst “ , entgegnet des Autors leibliche Schwester leicht gekränkt, „ daß es sich um einen Psychiater unseres Vertrauens handeln muß. “
„ Ich hege zu deinem Psychiater nicht mehr Vertrauen “ , erwidert euer liebenswürdiger Autor mit unverhohlenem Spott, „ als die Fliege zur Spinne. “ Er stutzt und zieht sein Notizheftchen hervor, um sich diese sehr schöne Wendung aufzuschreiben. Der Psychiater des Vertrauens seiner leibl i chen Schwester ist ein Scharlatan und Parasit nach US-amerikanischem Vorbild. Seit einiger Zeit ist es wieder hochaktuelle Damenmode, beim Psychiater in Behandlung zu sein, und das Gewerbe dieser vampiristischen Lebewesen blüht. Angesichts des unverändert desolaten Zustands der Menschen und ihrer Verhältnisse stößt euer Schriftsteller, der an den Fortschritt, das Gute, die Liebe, das Vaterland und den Apfelkuchen glaubt, einen vernehmlichen Seufzer aus; sein Blick verweilt auf einem geborstenen Pflanzeng e fäß aus braunem Ton, von einer Fensterbank gefegt: Bl u menerde und Kies liegen unterm Heizkörper verstreut, Nes t farne, Brunfelsien und Crossandren sind zertreten und nur noch ein kümmerlicher Haufen Abfall. Sollten sich Gener a tionen von Gelehrten, Dichtern, Philosophen, Staatsmä n nern, Wissenschaftler, Revolutionären und Politikern u m sonst abgestrampelt und versucht haben, der Herrenrasse dieses Planeten ein Mindestmaß an Verstand zu verscha f fen? Noch immer rennen die Menschen, sobald sich auf i h rem Lebensweg irgendwelche Schwi er
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