Gemischte Gefühle
dem seine leibliche Mutter ihren lieben Sohn begrüßt. In sichtbarer Bestürzung verharrt sie, in den Knien leicht eingeknickt, den Kopf zurückgeb o gen, eine Hand an den Türrahmen geklammert. „ Wieso bist du hier? “
„ Wieso nicht? “ Euer Science Fiction-Autor hat das Sta m perl vom Kühlschrank genommen; nun verhält er verwu n dert inmitten der Bewegung, mit der er das Getränk an die Lippen heben wollte.
„ Du bist an allem schuld! Du hast doch zuerst all dieses Zeug geschrieben. Daher hatte Günther diese verrückten Einfälle. “ Seine Mutter nimmt eurem erstaunten Autor das Stamperl aus der Hand und gießt den Inhalt mit einem Zug hinab in ihre Gurgel. Verdutzt starrt ihr liebevoller Sohn sie an. „ Du wirst uns noch alle hinter Gitter bringen. “ Sie ringt zwischen ihren Krallen einen alten schmuddligen Rotzfetzen und fährt sich mit dem Handrücken über die Stirn, das von Unwissenheit, Alter und gehöriger Senilität gezeichnete G e sicht zu einer erbarmungswürdigen Duldermiene verzogen.
Aber ihr lieber Sohn kann bei aller angebrachter Rüc k sichtnahme unmöglich gute Miene zu diesem bösen Spiel machen. Ihm sackt das Kinn herab. „ Ich?! Einen solchen Quatsch habe ich niemals geschrieben oder gar vertreten, das möchte ich hier doch einmal unmißverständlich klarste l len. “ Euer verdatterter Science Fiction-Autor schwankt e i nen Moment lang zwischen Fassungslosigkeit und Erbitt e rung, Mitleid und Groll. Man soll Vater und Mutter ehren, solange sie nicht den Betrieb aufhalten, aber er vermag se i nen Ärger nicht völlig zu verbergen. „ Wenn es nun mit Gü n ther so gekommen ist, dann wahrscheinlich, weil seine Mu t ter ihm in seiner Kindheit immer das Gesicht in den Spinat gedrückt hat, wenn er nicht essen mochte. Jeder normale Mensch weiß, daß traumatische Erlebnisse sich auf das sp ä tere Leben auswirken. Ich brauche dich ja nur daran zu eri n nern, daß du meinen Bagger zerbrochen hast, als ich fünf war, und seitdem …“
„ Haaa …!“ Seine liebe Mutter preßt sich die um den Spi t zenfetzen gekrampfte Hand aufs Herz und reißt die Augen auf. „ Und du? Du hast meinen Vorrat an Sicherungen we g geworfen … Du hast sie weggeschmissen, ohne mich zu fragen. “
„ Deine Sicherungen waren alle vierundfünfzig Stück k a putt. “ Euer Autor schenkt sich nochmals Slibowitz ein. „ A l le vierundfünfzig Stück. “
Wieder nimmt seine Mutter den Slibowitz. Und nicht nur das: Sie trinkt ihn auch; trinkt auch diesen köstlichen Slib o witz. Ihrem Sohn verschlägt es den Atem. Kann das noch ein gutes Ende nehmen? Ist dies der Kulminationspunkt se i ner erregten Laufbahn? Steht in seinem Dasein eine en t scheidende Wende bevor? Wer kann es wissen? „ Ich habe dir, als du sechs warst und diese schwere Erkältung hattest, das Leben gerettet …“ Sie hustet und schnauft.
„ Ich hatte eine Erscheinung … und rettete dir mit heißem Zitronensaft das Leben …“ Entschlossen greift sie eige n händig nach der Flasche und füllt erneut Slibowitz ins Stamperl. Ihr Sohn hört seine Schwester im Flur kramen; anscheinend macht sie sich fertig zum Gehen. Euer Autor klatscht sich eine Hand auf die Stirn; ihm fehlen die Worte. „ Nun werde ich auch meinen Schwiegersohn retten …“ Sie leert das Stamperl, verzieht das Gesicht zu einer Grimasse des Grams und stellt das Gläschen mit einem Knall auf den Kühlschrank ab. „ Bring mich sofort zum Psüschahter. Ich rede mit ihm. Ich rette Günther. Auf ein Mutterherz wird der Psüschahter hören. “
Nun erkennt euer bereits stark in Mitleidenschaft gezog e ner Autor die entsetzliche Gefahr. Die Absicht seiner Mutter ist eine Bedrohung für die gesamte Familie. Wenn man ihr die Gelegenheit einräumt, sich beim Psychiater auszuqua t schen, wird er zwangsläufig irgendwann etwas über ihre Joghurtbechersammlung von 620 ausgesucht schönen E x emplaren erfahren; das muß verhindert werden. Das restl i che Ansehen der Familie steht auf dem Spiel. Keine Familie kann sich mehrere Verrückte leisten; zumindest aber sollten zwischen den einzelnen Fällen besser ein paar Generationen liegen. Euer in Bedrängnis geratener Autor begreift das alles mit der unvermuteten Geistesklarheit, die nur in Notlagen auftritt und sogar den überrascht, den sie befällt. Er erkennt messerscharf, daß dies der kritische Moment ist, in dem wieder einmal alles von seinem Handeln abhängt. Sein En t schluß steht binnen einer Sekunde fest. „ Liebe
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