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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Korber
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angezogen. Mit beiden Händen betastete er die Scheiben.
    Warum nicht, dachte Viktor und stellte sich daneben. Er hatte bereits eine geschlagene Viertelstunde unfreiwillig mit der Betrachtung des Metalliclacks eines Kombis verbracht, sich eine weitere in den Anblick einer Altpapiertonne mitversenkt und weitere fünfzehn Minuten andächtig vor einer ausgeschalteten Ampel gestanden. Hier gab es immerhin etwas zu sehen. Hinter dem Glas sah er Menschen in dem voll beleuchteten Raum hin- und hergehen. Es verwunderte ihn, dass nach Ladenschluss noch so viel Personal unterwegs war. Offenbar machte man gerade Inventur oder räumte in der ruhigen Zeit nach Geschäftsschluss die Regale um.
    Müßig verfolgte Viktor das Geschehen und dachte dabei an eine der Frauen, mit denen er heute telefoniert hatte, Sabine Kesselring, Teilnehmerin in Bulhaupts Kreis, die erzählt hatte, zum Tatzeitpunkt in der Oper gewesen zu sein, »Hoffmanns Erzählungen«. Dabei hatte ein einziger Blick in die Zeitung genügt, um festzustellen, dass »Hoffmanns Erzählungen« an dem Abend gar nicht aufgeführt worden war. Irrtum oder eine ungeschickt geplante Täuschung? Die Frau hatte jung geklungen und nervös. Viktor überlegte, ob er sie aufsuchen sollte. Natürlich im Namen der Ethikkommission. Dann fiel ihm zweierlei auf: Erstens, dass Tobias sich mit seinem ganzen Körper an die Scheibe gedrückt hatte und sie hingebungsvoll abschleckte. Zweitens, dass er das Gesicht kannte, das sich ihnen auf der anderen Seite zugewandt hatte und sie ratlos anstarrte.
    »Dorota«, sagte Viktor, als sie herauskam. »Tut mir echt leid, die Sauerei, ich weiß auch nicht …«
    Sie hatte einen Lappen in der Hand. »Kein Problem, ich mache weg.«
    »Das ist echt …« Viktor lachte hilflos.
    Sie lachte ebenfalls.
    »Sie arbeiten hier auch?«, bemerkte er schließlich, um endlich etwas zu sagen.
    »Nach acht Uhr, am Freitag. Ist gutes Geld«, stellte sie fest. »Ich muss immer nach paar Monate Polen zurück. Wichtig, viel verdienen.«
    »Ich verstehe«, sagte er. »Und bei Bulhaupts arbeiten Sie als Au-pair?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Pflege«, sagte sie.
    Viktor musste einen Augenblick überlegen. »Ah«, fiel es ihm dann ein. »Das Bett im ersten Stock.«
    Sie nickte. »Alte Frau Bulhaupt.« Und fügte hinzu: »Ihr gehört Haus.«
    »Ach, ihr gehört das Haus?« Viktor war mit einem Mal ganz aufmerksam.
    Dorota nickte. »Ihr gehört alles … Oh«, rief sie, als sie sah, dass Tobias schon wieder die Scheibe befeuchtet hatte.
    »Verdammt noch mal, Tobi, du alter Saubär«, rief Viktor.
    Tobias klatschte. »Böses Wort. Böses Wort.«
    Viktor sah Dorotas verblüfftes Gesicht. »Er ist autistisch«, sagte er, ohne zu erwarten, dass sie viel damit anfangen konnte. Verstand er es denn selbst? »Er macht manchmal Sachen …«
    Dorota lächelte höflich. »Frau Bulhaupt macht auch …«, sagte sie, »… Sachen.«
    »Sie ist wohl sehr alt?«, erkundigte Viktor sich. »Hör jetzt auf, Tobi.« Er zog seinen Cousin am Ärmel von der Scheibe weg. Der wollte prompt fortlaufen. »Nein, Tobi, wir sind hier noch nicht fertig.«
    »Ist alt. Ist krank. Ist unglücklich.« Dorota zuckte mit den Achseln.
    »Verstehe«, erwiderte Viktor. »Mit anderen Worten, die Alte ist die Hölle, was?« Tobias zog so derart, dass er um sein Gleichgewicht ringen musste.
    Diesmal beschränkte die junge Polin sich auf ein Lächeln.
    »Gehen wir jetzt gehen wir jetzt gehen wir jetzt gehen wir jetzt gehen wir jetzt?«
    »Ist denn die Alte …. ja, Himmelherrgott, wir gehen ja. Gleich.« Viktor wandte sich wieder Dorota zu, die sich in den Drogeriemarkt zurückzog. Er konnte es ihr nicht verdenken.
    »Also dann …« Damit schloss sie die Tür.
    Viktor seufzte. Dann ließ er Tobias los. Seine Finger schmerzten. »Ja, ja«, brummte er. »Wir gehen ja.«
    Tobias war inzwischen in die Betrachtung eines Laternenpfostens versunken und beachtete ihn nicht. Von Gehen war nun keine Rede mehr. Nach einer Weile öffnete er den Hosenschlitz und urinierte gegen das Metall. Immerhin war es keine Gartenmauer.
    »Er ist Autist«, sagte Viktor zu einem Mann, der sie beide anstarrte.
    »Ich hab zu Hause einen Retriever«, antwortete der und ging weiter.

21
    Auf dem Heimweg bemerkte Viktor das beleuchtete Schild der Silbernen Traube. Das war doch das Lokal, in dem sich Bulhaupts Jägerstammtisch befand. Wie magisch angezogen steuerte er darauf zu. Erst als er die Hand auf die Klinke legte, begriff er, dass es ein

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