Gemordet wird immer
noch etwas taumelnd, aber entschlossen auf den Weg machte.
Doch er erhielt keine Antwort.
»Herr Mertens?« Miriam lächelte nervös, als die fremde Haustür aufging. »Ich suche Ihren Sohn, Max. Ist er hier?«
Thomas Mertens runzelte die Stirn. »Woher kennen Sie Max?«, fragte er streng.
Miriams Lächeln wurde noch ein wenig breiter. »Ich recherchiere gerade für unser Abiturtreffen«, erklärte sie. »Dieses Jahr soll es etwas Größeres werden. Ich hatte gehofft, er wäre hier. Oder dass Sie wissen, wo er sich aufhält.«
Thomas Mertens entspannte sich ein wenig. »Er ist nicht hier«, gestand er. »Er ist gerade im Chalet.«
»Chalet?«, echote Miriam ratlos.
Zum ersten Mal lächelte der ältere Mann. »Klingt pompös, nicht wahr? So nennen wir eine kleine Jagdhütte, die der Familie schon seit zwei Generationen gehört.«
»Wow«, sagte Miriam, »klingt toll. In der Schweiz?«
»Nein, in Polen«, antwortete Thomas Mertens. »Wie gesagt, wir nennen sie nur so. Vermutlich, um sie ein wenig aufzuwerten, sie hat nämlich weder fließend Wasser noch Zentralheizung. Mein Stiefvater pflegte dort Wisente zu jagen.«
»Und jagt Max auch?«, wagte Miriam die Frage.
»Nein.« Thomas Mertens wirkte mit einem Mal wieder verschlossen. Schließlich fügte er tonlos hinzu: »Er macht eine Pause.«
»Ah«, sagte Miriam enttäuscht. »Na ja, Max war ja auch nie so der Lodentyp, was? Ich hab ihn noch gut in Erinnerung, mit dem langen schwarzen Mantel und den gefärbten Haaren und all dem Metall.« Sie deutete mit den Fingern die Piercings in ihrem Gesicht an, so wie sie es auf dem Foto in den Akten ihres Onkels gesehen hatte. »Er war der Erste in meinem Leistungskurs, der ein echtes Tattoo hatte.«
Max’ Vater verzog das Gesicht.
»Meinen Sie, Sie hätten noch ein Foto von ihm, von damals?«, fragte Miriam mit ihrer nettesten Kleinmädchenstimme. »Oder eine von seinen CDs?« Sie machte einen Schritt auf die Haustür zu. »Wissen Sie, wir machen ein kleines Porträt von jedem, mit Bild, Musik und einem möglichst witzigen Kommentar.« Thomas Mertens schaute sie lange an, gab dann aber den Weg frei. »Kommen Sie rein«, sagte er langsam. Sein Blick wanderte sorgsam einmal die Straße hinauf und wieder hinunter, ehe er die Tür hinter ihr schloss.
Der Garten von Bulhaupts Nachbarn zeigte deutlich, dass hier ein Hund lebte: ein provisorisches Drahtgitter, das den eigentlichen Gartenzaun erhöhte und verschandelte, Löcher im abgewetzten Rasen und zerbissenes Spielzeug, das wahllos verstreut herumlag. Am Gartentor prangte eines jener Schilder, die witziger sein wollten als das übliche »Vorsicht bissiger Hund.« Er öffnete das Tor trotzdem und ging hinein.
Als sich wider Erwarten keine Bestie auf ihn stürzte, beschloss er, noch kurz um das Haus herumzuspazieren, bevor er klingelte, und zu sehen, wo das Tier sich Zutritt zum Bulhaupt’schen Grundstück verschaffen konnte. Tat sein Herr etwas gegen diese verbotenen Ausflüge, fragte er sich. Oder billigte er sie ebenso wie den daraus resultierenden Nachbarschaftszwist? Was für ein Typ Mensch lebte hier?
Der hintere Teil des Gartens wurde von derselben monolithischen Hecke dominiert, die er schon von Bulhaupts Garten kannte. Auf dieser Seite allerdings war sie ebenso malerisch wie ungezähmt von Wolfsmilch und Waldrebe überwuchert, auch Hopfen war dabei. Teile der Rankenlast umschlangen außerdem einen Schuppen, der diesen Namen eigentlich nicht verdiente, so sichtlich war er von einem Laien aus alten Brettern selbst zusammengeschustert worden. Dennoch hatte all das einen gewissen Charme. Wie im Garten seiner eigenen Familie gab es hier ein paar alte Kiefern, die alles verdüsterten und den wenigen Rhododendren, die sich nahe ihrer Stämme zu halten suchten, die Nährstoffe raubten. Dafür gedieh der Löwenzahn umso prächtiger. Viktor sah Exemplare, die den Meerschweinchen, die er als Kind besessen hatte, Schauer der Begierde über die pelzigen Rücken gejagt hätten.
»Verflucht!« Angeekelt hob er einen Fuß. Der Schuh war feucht von Tau und verschmiert mit etwas, das unverkennbar roch.
»Stehen bleiben«, rief jemand hinter ihm.
»So?«, fragte Viktor, der auf einem Bein balancierte.
»Genau so.« Die Stimme des Mannes überschlug sich fast vor Aufregung.
»Mensch, ich bin eben voll in die Scheiße getreten«, konstatierte Viktor, dem es beinahe übel wurde von dem Gestank. Vorsichtig drehte er den Kopf und sah einen dicklichen Mann, der mit der Linken
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