Gemordet wird immer
seine vor Aufregung ins Rutschen geratene Brille zurück auf die Nase schob, ehe er auch mit dieser Hand wieder den Baseballschläger umfasste, den er über seinem Kopf hielt. »Das, Freundchen«, sagte sein Gastgeber drohend, »kannst du laut sagen. Und jetzt rein mit dir, oder wir rufen die Polizei.«
»Aber …«
»Rein hier.« Die Geste mit dem Schläger war unmissverständlich.
Grummelnd tapste Viktor los. Bei jedem Schritt versuchte er, etwas Kot am feuchten Gras abzustreifen. Der Gestank wurde immer schlimmer. Doch der Mann hinter ihm schien ihn gar nicht wahrzunehmen. Er war selbst eingehüllt in eine Wolke intensiven Schweißes, der vermutlich alle anderen Gerüche überdeckte. »Hören Sie«, sagte Viktor schließlich. »Sie wollen bestimmt nicht, dass ich mit diesen Schuhen Ihr Haus betrete.« Er konnte nicht anders, als die offene Wohnungstür und den dahinter liegenden Flur mit gemischten Gefühlen zu betrachten. »Sie sind doch gar kein so hartgesottener Kerl, nicht wahr? Sie lieben einfach Ihren Hund.«
»Da du den erwähnst«, erwiderte der Mann und pfiff. An seiner Seite erschien der Terrier, den er schon aus Bulhaupts Garten kannte. Heute sah das Tier allerdings gar nicht verspielt und entdeckerfreudig aus. Er entblößte sein Gebiss und knurrte aus tiefster Kehle.
»Wussten Sie«, fragte Viktor, »dass ich in Detroit mal für ’nen Hundefänger gearbeitet habe?«
Der Mann bleckte die Zähne. »Man muss immer für seine Sünden zahlen«, stellte er fest. »Und jetzt rein.«
35
Wolfgang und Hedwig Anders waren gerade dabei, eine alte Dame mit silbergrauen Locken in eine lavendelfarbene Seidenbluse zu zwängen. Die Totenstarre war bereits abgeklungen, und die Arbeit ging zügig voran. Wenigstens sie machte keinen Ärger, dachte Wolfgang Anders grummelnd bei sich. »Ich habe eben ein zweistündiges Telefonat mit dem Sekretär des Bischofs hinter mir«, sagte er zu seiner Frau. »Fass sie unter der Achsel, ja, so. Letztlich habe ich mich darauf hinausgeredet, dass es der Wille des Toten war. Aber das Beichttagebuch ist ja verschwunden.«
»Sollte ich ihr noch die Fußnägel schneiden?«, überlegte Hedwig.
»Da kommen eh die Strümpfe und die Schuhe drüber.« Wolfgang Anders betrachtete ihr Werk. »Am Ohr ist noch ein bisschen Blut. Reich mir mal das Peroxid.«
»Ist kaum noch was da«, stellte sie nach einem Blick in den Schrank fest. »Ich werde nachher in der Apotheke anrufen. Dann kann Viktor vorbeifahren.«
»Ich möchte wissen, wo der Junge steckt.« Wolfgang Anders schloss die Perlmuttknöpfe über der wulstigen Narbe auf dem Oberkörper der Toten und schüttelte den Kopf. »Die nähen wie die Metzger dort in der Pathologie.«
»War sie Organspenderin?«
»Schau dir die Augen doch an, Hämatome bis an die Schläfen. Und auf doppelte Größe angeschwollen. Wenigstens haben sie schon was reingestopft. Ich wünschte, sie würden besser darauf achten, dass es beim Entnehmen der Augäpfel keine Einblutungen gibt.«
»Tobias kriegt das nachher schon hin.« Hedwig blieb gelassen.
Bei der Erwähnung ihres Sohnes hob ihr Mann den Kopf: »Muss das wirklich sein mit der Therapie, Hedwig?«
Sie nickte nur und öffnete die Schnallen an ein paar Lackschuhen. »Es ist unser erster Termin, und der ist sehr wichtig. Tobias wird untersucht und macht ein paar Einstufungstests, und dann sehen wir weiter. Ich werde das auch lernen müssen, weißt du. Wenn er gestützt kommunizieren soll, braucht er Stützer, die wissen, wie das geht.«
»Hedwig, was versprichst du dir davon? Wir wollten uns doch nicht mehr verrückt machen lassen. Tabletten, Kuren, Massagen, EEGs, Festhaltetherapien, Wunderheiler. Wir hatten das doch schon vor Jahren aufgegeben.«
»Das war möglicherweise ein Fehler.« Hedwig Anders blieb stur. »Außerdem hat Miriam sich angeboten, den Kurs mitzumachen und als zweiter Stützer zu agieren. Wenn ich mal keine Zeit habe.« Versonnen begann sie, die Finger der Toten über der Brust ineinanderzufalten. »Sie ist wirklich ein nettes Mädchen.«
»Na, die glaubt ja auch, dass Pflanzen sprechen können …« brummte Wolfgang Anders. Dann hellte sein Gesicht sich auf. »Kann sie dann nicht mit Viktor dahin? Ich brauche dich nachher, um den Kostenplan durchzugehen.«
Hedwig Anders gab nach und wählte Miriams Handynummer. Aber auf das Klingeln hin meldete sich nach einer Weile nur die Mailbox. Sie hinterließ eine kurze Nachricht. »Sie geht nicht ran. Eigentlich komisch«, stellte sie
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