Gemuender Blut
die Informationen beschaffen könntest, wäre das super. Ich will dich nicht bedrängen.«
»Machst du aber.«
»Ich melde mich, Mattes, tschüs.«
Der Hörer lag warm in meiner Handfläche. Ich streckte ihm die Zunge raus. Dann legte ich ihn auf den Tisch und starrte ihn an. Vermutlich hatte Matthias recht. Mit Sauerbier war nicht zu spaßen. Ich kramte in meiner Jackentasche und suchte den orangefarbenen Zettel zwischen Büroklammern, Bonbonpapieren und Münzen für den Einkaufswagen. Monika Berkel, eine Adresse mit Gemünder Postleitzahl, die mir nichts sagte. Der freundliche junge Mann in der Auskunft kannte zumindest ihre Telefonnummer, und ich rief dort an. Niemand hob ab.
Ich schwang mich samt Navigationssystem auf das Fahrrad meines Vaters und folgte brav den Anweisungen. Es war nicht weit. Keine Entfernung in Gemünd war weit. Die Urftseestraße in Richtung Ortskern und dort durch die Dreibömer Straße. Auch hier hatte sich in den letzten Jahren viel geändert. Das meiste zum Guten. Da, wo früher ein Nachkriegsneubau im Erdgeschoss ständig wechselnde Billigläden und im Obergeschoss eine Diskothek beherbergt hatte, öffnete sich jetzt ein hübscher Platz mit Geschäften. Es sah aus, als träten die Schaufensterfronten in einen Wettstreit mit den Blumeninseln um die größte Farbenpracht. In der alten Volksschule, die an der Längsseite des Platzes ihre weiß getünchten Mauern strahlen ließ, bekam man keine Lebensweisheiten, sondern Eifler Spezialitäten aufgetischt und einen Sitzplatz an der Sonne. Freunde der süßen Verführung wurden in dem gegenüberliegenden Café fündig, und reichlich geistige Nahrung war in der Buchhandlung direkt nebenan zu finden.
Ich mochte dieses neue Gesicht meiner alten Heimat.
Seit vor fünf Jahren der Nationalpark Eifel offiziell Gemünd als eines seiner Tore geöffnet hatte, belebten Touristen und Wandergruppen das Bild des Ortes. Zum Schützenfest hatte sich die Stadt noch zusätzlich herausgeputzt. Von vielen Häusern hingen Fahnen mit dem Gemünder Wappen und grün-weiße Luftballons.
Ich hielt mitten in der Fußgängerzone an, schloss für einen Moment die Augen und sog die Luft ein. Über dem Duft der Bäckerei, der Eisdiele und dem rauchigen Hauch aus der Metzgerei lag unverkennbar Waldluft.
Das war es, was in Köln fehlte.
Die Kirchturmuhr schlug sechs Mal. Monika Berkel könnte jetzt zu Hause sein. Nach fünf Minuten hatte ich die ehemalige Belgische Siedlung in Mauel erreicht. Wie kleine Festungen verschanzten sich die Einfamilienschlösschen und Reihenhäuser hinter ihren Rhododendren und Buchsbaumhecken. Monika Berkels Haus hob sich von seinen Nachbarn durch die freie Rasenfläche und die Skulptur davor ab. Sie erinnerte mich an die Keramiktassen meines Kollegen Matthias. Ungewöhnlich, aber nett. Vor allem aber – sehr bunt.
Auf mein Klingeln hin öffnete mir niemand. Durch den langen Glaseinsatz der Haustür konnte ich in den Flur sehen. Nichts rührte sich darin.
»Wen suchen Sie denn?«
Ich schreckte hoch und wandte mich um. Eine Frau in Gummistiefeln, weitem Sweatshirt und schmutzigen Jeans sprach mich vom Nachbargrundstück aus an. Sie schob ihre Ballonmütze ein Stück nach hinten und blinzelte in die tief stehende Sonne.
»Ich möchte zu Frau Berkel. Wissen Sie, wo sie ist?«
»Was wollen Sie denn von ihr?«
»Ich möchte ihr gerne ein paar Fragen stellen.«
»Sind Sie von der Polizei?«
»Ja, ich …« Ich räusperte mich. »Nein, ich bin nicht von der Polizei. Ich bin privat hier. Ich wollte Frau Berkel etwas fragen, aber wenn sie nicht da ist, dann …« Ich schob mein Fahrrad aus der Einfahrt und hockte mich auf den Sattel. »Ich komme später noch einmal wieder. Was meinen Sie, wann ich sie antreffen kann?«
Die Frau hob eine Gartenharke und stützte sich auf den Holzstiel.
»Ich dachte nur, wo doch ihr Exmann ermordet wurde, Sie wären von der Polizei.« Sie machte eine Pause. »Oder sind Sie von der Zeitung?«
»Ach, Peter Prutschik war der Exmann von Frau Berkel?«
Sie musterte mich von oben bis unten. Ihr Blick blieb an meinem T-Shirt hängen, auf dessen Vorderseite eine dicke Prilblume prangte. Die Art, wie sie den Unterkiefer vorschob und ihre Zunge unter die Oberlippe steckte, machte mir klar, dass sie mir misstraute.
»Ich dachte, Sie kennen sie.«
»Nein. Bisher noch nicht. Aber das möchte ich sehr gerne ändern.« Mit Schwung trat ich in die Pedale. »Bis bald mal«, winkte ich ihr zu, ohne nach hinten zu sehen.
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