Gemuender Blut
Nichtschwimmerbereich trennte. Die Rutsche lockte mit glänzendem Stahl. Wie lange war das her? Ich grinste, als ich oben meinen Po zwischen den Aluplanken platzierte und sah, wie die Damen Rostler und Keil kopfschüttelnd mein Manöver begutachteten.
»Un dat in demm Alter!« Über die leere Wasserfläche hinweg drangen ihre Worte bis zu mir hinauf.
Mit einem lauten »Jippiiie!« ließ ich mich die Rutsche hinuntergleiten und hoffte auf eine möglichst große Fontäne beim Aufprall. Ihre entsetzten Gesichter, in die ich beim Auftauchen sehen durfte, ließen erkennen, dass sie mir gelungen war.
Ich wandte mich ab und ging auf die Treppe zu, die am unteren Ende des Beckens einen sicheren Ausstieg versprach. Aus den Augenwinkeln sah ich ein Glitzern. In der Überlaufrinne hatte sich ein Ohrring verfangen. Ich nestelte ihn heraus und betrachtete ihn. Der kleine Stein in der silbernen Fassung funkelte wie ein Diamant. Allerdings war ich die Letzte, die in einem solchen Fall echt und unecht unterscheiden konnte. Der Bademeister war nicht zu sehen. Ich hielt den Ohrring fest in meiner Handfläche, stieg aus dem Wasser und ging den beiden Schwimmerinnen am Beckenrand entgegen.
»Hallo?«
Sie reagierten nicht. Vermutlich verschlossen ihnen ihre Badekappen die Ohren.
»Frau Rostler!« Diesmal strengte ich mich mehr an.
Es nutzte nichts. Erst am anderen Ende der Bahn konnte ich die beiden abfangen. Böse funkelten sie mich an.
Ich kniete nieder und hielt ihnen den Ohrring hin.
»Haben Sie den verloren?«
Frau Keil schwamm näher und starrte mir ins Gesicht.
»Sie sinn doch dem Hermann seine Tochter, oder nitt?«
»Ja, die bin ich.«
Jetzt kam auch Frau Rostler näher.
»Och, dat Ina! Isch hann disch janitt jekannt.« Sie legte den Kopf in den Nacken und blickte zu mir hoch. »Wat haste denn, Kind?«
»Gehört der Ohrring Ihnen?«
»Nee, leider nich.« Frau Rostler schüttelte bedauernd den Kopf, blinzelte und schoss mir dann ihre Frage ins Gesicht: »Wohnst du jetzt wieder beim Papa? Du bist schon so lang widder da. Klabbet nämmi in Köln?« Und, nach einer kurzen Pause, in der sie ihre Badekappe mit spitzen Fingern zurechtrückte: »Wat weißte denn übber den Mord an dem Mann?«
Ich stand auf und legte ein schmales Lächeln auf meine Lippen.
»Doch, danke. Es klappt gut in Köln. Ich bin nur auf Urlaub hier.« Ich hatte es vergessen. So etwas wie Anonymität gab es in Gemünd nicht. Alles wurde registriert und begutachtet. Ich wusste nicht, ob es mir gefiel. Die Frage nach dem Mord ignorierte ich.
Frau Rostler probierte es erneut: »Du bist doch Kommissarin, so wie im ›Tatort‹. Da musst du doch was wissen!« Ihre Neugierde hatte sie ins Hochdeutsche getrieben.
Ich packte wortlos meine Sporttasche, steckte das Schmuckstück in ein Seitenfach und verabschiedete mich mit einem Nicken. Als ich mich nach fünf Metern noch einmal umdrehte, hatten sie ihre Bahnen schon wieder aufgenommen, trieben wie zwei Leuchtbojen durch das Wasser und diskutierten lautstark.
»Sie kann doch nicht aus einem laufenden Ermittlungsverfahren erzählen, Marta!«
»Abber, se kennt mich doch …«
Ich grinste in mich hinein. Doch zu viele Fernsehkrimis.
Die Zeiger der Schwimmbaduhr rückten auf neun Uhr an. Dienstantritt für den Bademeister. Irgendwo würde ich ihn schon finden. Ich ging über die Steinfliesen, entlang der Pinnwand, an der Zeitungsausschnitte vom Kampf der Bürger um ihr Schwimmbad erzählten, und musste lächeln. Als in den achtziger Jahren der Stadt das Geld ausging und das Schwimmbad geschlossen werden sollte, hatten sich die Gemünder auf sehr eigenwillige Art für den Erhalt engagiert. Mit Waschbütte um den Bauch, Duschstange und Zwanziger-Jahre-Badeanzug ausstaffiert, hatte eine Frau ihr persönliches kleines Schwimmbad sogar durch den gesamten Karnevalszug getragen. »Mee Schwemmbad mäht keener zo!«, hatte auf dem Schild gestanden, und an ihrer Kampfeslust bestand kein Zweifel.
Zur großen Überraschung aller Beteiligten wurde das Rosenbad gerettet und öffnete seitdem in jedem Jahr wieder seine Türen.
Meine Schritte hallten auf den Steinfliesen, während ich die Eingangshalle durchquerte. Die Umkleidekabinen lagen am hinteren Ende und hatten sich seit meiner Kindheit nicht verändert. Auch Bürgerbäder leiden unter knappen Budgets.
Der Bademeister kassierte die Münzen mit einem berufsmäßigen Lächeln, hob seine Baseballkappe an und kratzte sich am Kopf.
»War noch ein bisschen frisch
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