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Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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Wasser tanzten. Plötzlich fielen mir die Blutegel wieder ein, die ich mir beim Spielen in diesem Bach als Kind immer eingefangen hatte. Ich ekelte mich bei dem Gedanken und stakste eilig weiter, bis ich die blaue Plane erreicht hatte. Ihre untere Kante hing gerade bis auf den Boden hinunter. Behutsam hob ich sie an und quetschte mich zwischen Plastik und Mauer. Selbst ein aufmerksamer Beobachter auf der anderen Seite des Baches würde mich so nur schwer entdecken. Einen halben Meter über meinem Kopf befand sich der Pfad, auf dem Peter Prutschik seinem Mörder begegnet war. Ich suchte nach einer Möglichkeit, hinaufzugelangen. Die raue Oberfläche der Mauer bot keine Hilfe. Immer wieder glitten meine Finger ab. So ging es nicht. Aber es musste eine andere Möglichkeit geben. In einem Meter Entfernung stach ein Betonrohr durch die Mauer und hielt die Plane auf Abstand. Wenn ich mich daran hochziehen und festklammern könnte? Ein dunkles Loch gähnte mich an, als ich hineinblickte. In meiner Vorstellung wohnte hinter der Dunkelheit eine Rattenfamilie, die es nicht gut finden und mich umgehend angreifen würde, sobald ich nur einen Fuß dort hineinsetzen würde. Ich sah mich erneut um. Nichts.
    Es blieb mir keine andere Wahl. Mit einer Hand klammerte ich mich an den Rand des Rohres, zog mich hoch und hangelte nach der unteren Latte des Zaunes auf der Mauer. Bei der nächsten Sportstunde würde ich die Klimmzüge nicht auslassen, schwor ich mir, während ich Zentimeter um Zentimeter mein Gesicht über den unteren Rand des Pfades schob.
    Der Tatort war bereits abgegrast. Wie zu erwarten, zeigten nur noch weiße Kreidespuren auf dem Boden die Lage der Leiche an. Erst jetzt sah ich, wie klein Prutschik gewesen sein musste. Vor Wut tobend und wie eine Schlange sein Gift vor Steffen versprühend, war er mir deutlich größer erschienen als die höchstens eins fünfundsechzig, die der Kreideumriss ihm zugestand.
    An der Betonwand, die sich hinter ihm erhob, waren Blutspritzer zu sehen. Es sah aus, als ob ein Kind ein Zahnbürstenbild gemacht und dabei zu viel Wasser verwendet hätte. Dicke Tropfen breiteten sich sternförmig aus. Für eine Schusswunde zu wenig. Eher wie die Blutspritzer nach einem Schlag auf den Kopf. Dafür sprachen auch die Reste einer Blutlache, die sich in Höhe des gezeichneten Kopfes befand. Braun. Nicht dunkelrot. Ich schloss die Augen.
    Wie ein Blitz zuckte Jans Gesicht vor mir auf. Ich fühlte die Berührung seiner Lippen auf meinen Wangen. Den Hauch seines Atems. Dann das Rot, das ich nie gesehen hatte, aber das sich in meiner Vorstellung unter ihm ausbreitete. Schwarzer Stein. Rotes Blut. Seine blauen Augen starrten in die Ewigkeit. Mir wurde übel.
    Ich verlor den Halt unter den Füßen, schrammte die Mauer hinunter, stürzte auf die Knie und rutschte rückwärts den kurzen Hang hinunter. Meine Hände packten ins Leere, und ich spürte, wie spitze Steine meine Knie und Schienbeine aufrissen. Ich fiel, und Panik kochte in mir hoch. Es ist vorbei, Ina. Vorbei. Meine Muskeln krampften. Die Plane knallte, als ich hineinfiel und sie mit dem Gewicht meines Körpers straffzog. Ich keuchte auf. Erst als das eiskalte Wasser der Urft das Blut von meinen Beinen spülte, beruhigte sich mein Atem.
    Ich stand auf und watete die fünf Meter zurück zum anderen Ufer, schnappte meine Tasche und die Schuhe und ließ mich auf die Bank neben dem Kneippbecken fallen. Blut lief aus den Schürfwunden an meinen Beinen hinunter, und es dauerte eine ganze Weile, bis ich es gestillt und mit meinem Handtuch abgewaschen hatte.
    Kaffeeduft begrüßte mich im Hausflur. Olafs Wohnungstür stand offen, und aus seiner Küche drang das leise Singen meines Vaters. Auf dem Tisch standen ein Korb mit Brötchen und selbst gemachte Marmeladen. Ich stellte mich in den Türrahmen, verschränkte die Arme und betrachtete die beiden. Sie waren meine Familie. Die einzige, die ich hatte. Bis auf meinen Kater, der auch Hermann hieß und zurzeit auf Besuch bei Matthias weilte. Wenn ich länger hierbleiben würde, müsste ich ihn irgendwann holen.
    »Ich habe deine Lieblingsbrötchen mitgebracht, Schwesterherz.« Olaf schaute von seiner Zeitung auf. »Warst du schwimmen?« Verwundert wies er auf meine nassen Haare, die noch wirrer als sonst um meinen Kopf standen. Meine zerschrammten Beine brannten unter der Jeans, die ich mir schnell angezogen hatte, damit er die Wunden nicht sah. Ich würde sie desinfizieren und verbinden müssen, wenn ich

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