Gene sind kein Schicksal
sie großspurig erklärten, das Erbgut des Menschen sei vollständig entziffert. Im Humangenomprojekt »wurde das fünfte Nukleotid, 5 -mC, in der menschlichen DNA ›übersehen‹. Damit fehlen für die Forscher, die an der Funktion dieser DNA -Modifikation interessiert sind, wesentliche 20 % der Genominformation.« [19]
Im Humanen Epigenomprojekt soll das Versäumnis zwar nachgeholt werden, indem man auch die methylierten Basenpaare identifiziert. Jedoch bleibt das grundsätzliche Problem: Eine DNA -Entzifferung ist eine Momentaufnahme und kann die Dynamik des Erbguts nicht erfassen. Das Erbgut ist sozusagen immer in Bewegung, äußere Faktoren verändern es fortwährend. Nicht nur nichtphysische Faktoren wie Gefühle und Erfahrungen wirken auf die Gene, sondern auch fassbare Dinge wie Schadstoffe und Substanzen aus der Nahrung.
Du bist, was du isst
Der Einfluss der Nahrung ist bei Honigbienen besonders eindrucksvoll. Sie sehen im frühen Larvenstadium noch alle gleich aus. Den meisten Larven flößen die Ammen einen Brei aus Honig und Pollen ein – sie verwandeln sich in sterile Arbeitsbienen. Einige wenige Larven dagegen werden mit Gelée royale gefüttert – sie reifen zu fruchtbaren Königinnen heran. Es sind epigenetische Effekte, die da am Werk sind. Der Honig-Pollen-Brei führt offenbar zu einer besonders starken Methylierung – und damit zum Abschalten bestimmter Entwicklungsgene: Die Larve wird zur Arbeitsbiene.
Ein ebenso anschauliches Beispiel hat der Biologe Randy Jirtle vom Duke University Medical Center gefunden, und zwar an schwangeren Mäusen. [20] Aufgrund einer Erbkrankheit waren die Embryonen anfällig für Diabetes, Übergewicht und Krebs. Einigen der Muttertiere verabreichte Jirtle normales Futter, anderen Mäusen mischte er Ergänzungsstoffe wie Folsäure, Vitamin B 12 , Betain und Cholin ins Futter. Als die Mäusebabys auf die Welt kamen, konnte Jirtle sie zunächst nicht voneinander unterscheiden, weil sie alle gleich aussahen. Jedoch änderte sich das nach einiger Zeit. Die einen Babys wurden dick, kränklich und hatten gelbliches Fell; die anderen wurden dünn, gesund und hatten dunkles Fell – und das, obwohl diese Tiere (durch spezielle Züchtung) genetisch identisch waren.
Die unterschiedlichen Erscheinungsbilder gehen allein auf die Nahrungszusätze zurück – diese haben den Bann der Gene gebrochen. Folsäure, Vitamin B 12 , Betain und Cholin übertragen allesamt Methylgruppen. Über die Mutter sind die Nahrungsbestandteile in die ungeborenen Mäuse gelangt und haben dort ein bestimmtes Gen (das Agouti-Gen) methyliert, das die Fellfarbe und auch das Fressverhalten steuert. Auf diese Weise konnten Jirtle und sein Kollege Robert Waterland Mäuse in verschiedenen Übergangsformen züchten: Je mehr Nahrungszusätze sie den Müttern verabreichten, desto dunkler und schlanker wurden die Nachkommen.
In anderen Fütterungsversuchen setzte Jirtle weiblichen Mäusen Genistein vor. [21] Dieses in der Sojabohne vorkommende Phytoöstrogen gab es zwei Wochen vor der Begattung sowie während der Schwangerschaft und der Stillzeit. Abermals waren unter den heranwachsenden Mäusen Unterschiede zu sehen, und wieder gab das Futter den Ausschlag. Die Kinder von Müttern, die mit normaler Kost ernährt worden waren, hatten keine erhöhte Methylierung am Agouti-Gen und waren zumeist gelb und fett. Anders die Kinder der mit Genistein gepäppelten Mütter: Ihr Agouti-Gen war besonders stark methyliert, was sich in ihrem Erscheinungsbild widerspiegelte. Sie waren häufig dunkel und im Durchschnitt nur ein Drittel so schwer wie die gelben Mäuse.
Der Einfluss des Phytoöstrogens Genistein auf das Erbgut dürfte auch bei Menschen eine Rolle spielen und könnte zum Beispiel erklären, warum Asiaten, die besonders viel Produkte aus der Sojabohne verzehren, seltener an Brust- und Prostatakrebs erkranken.
Abbildung 3 :
Unterschiedliche Nahrung führt zu unterschiedlichen Erscheinungsbildern
Quelle: Randy Jirtle
Die Mäuse sind genetisch identisch. Die Mutter des dunklen Tiers hat in der Schwangerschaft Nahrung erhalten, die besonders viele Methylgruppen enthält.
»Nahrung soll eure Medizin und Medizin eure Nahrung sein« – diesen 2400 Jahre alten Satz des griechischen Arztes Hippokrates könnte man bestens auf die epigenetischen Effekte beziehen.
Aus einem Ei und doch nicht gleich
So wie die Sonne das Gesicht eines Seemanns gerbt, so hinterlässt auch das Leben seine Spuren in den
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