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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Blech
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Genen. Auf diese Weise spiegelt sich bei allen Menschen ihr Leben in den Molekülen des Zellkerns. So einzigartig das Leben eines Individuums verläuft, so einzigartig sind diese Spuren im Erbgut. Sie erklären, wie es sein kann, dass eineiige Zwillinge in puncto Persönlichkeit und Gesundheit so unterschiedlich sein können. Seit 50  Jahren rätseln Epidemiologen, warum etwa Leiden wie Multiple Sklerose, Typ- 1 -Diabetes mellitus oder Schizophrenie beim einen Zwilling ausbrechen, den anderen aber verschonen. Manel Esteller vom spanischen Nationalen Krebsforschungszentrum hat das Erbgut von vierzig eineiigen Zwillingspaaren im Alter von 3 bis 74  Jahren analysiert und nach Unterschieden in der Methylierung und Acetylierung gesucht. [22] Das Ergebnis: Die jungen Zwillingspaare trugen noch ähnliche epigenetische Muster. Unter älteren Paaren dagegen gab es merkliche Unterschiede.
    Diese Unterschiede fanden sich verteilt über das ganze Genom und hatten einen großen Einfluss darauf, wie Gene abgelesen werden. Je älter die Zwillinge waren, je weniger Zeit sie gemeinsam in der gleichen Umwelt verbracht hatten und je unterschiedlicher ihre Lebensstile waren, desto größer waren die Abweichungen in ihren epigenetischen Mustern. Ob ein Mensch sich körperlich bewegt, Wurst oder Gemüse isst, das alles hinterlässt Spuren, die erstaunlich schnell auftauchen können. Manel Esteller erklärt: »Wenn ein Zwilling anfängt zu rauchen, Drogen nimmt oder in eine Gegend mit größerer Luftverschmutzung zieht, selbst nur für ein Jahr, dann kann das epigenetische Profil deutlich voneinander abweichen. Das ist sehr dynamisch.« [23]
    Dem genetischen Determinismus zufolge waren unsere Geschicke biologisch vorbestimmt. Doch jetzt hat die Forschung die gegenläufige Erkenntnis gewonnen: Wir sind verantwortlich für unsere Gene.

Kapitel  3 Der erste Kampf der Geschlechter
    Vor einigen Jahren ist in Niedersachsen ein merkwürdiger Junge auf die Welt gekommen. Peter hat schlaffe Arme und Beine und lässt das Köpfchen hängen. An der Brust seiner Mutter trinkt er kaum, umso ausgiebiger schläft er die Nächte und Tage durch. Doch viele Monate später verwandelt er sich. Plötzlich ist Peter körperlich viel reger und hat einen unbändigen Hunger. Zur Freude der Eltern setzt er erstmals Fettpolster an, ansonsten jedoch will er nicht gedeihen. Seine Bewegungen sind ungelenk und verzögert, er artikuliert undeutlich.
    Im Alter von drei Jahren bekommt Peter eine Schwester. Paula ist ebenfalls ein apathischer und appetitloser Säugling – der sich, wie einst Peter, eines Tages in ein ewig hungriges Kleinkind verwandelt. Je älter der Bruder und die Schwester werden, desto stärker treten ihre besonderen Merkmale hervor. Paula und Peter sind klein und dick. Die Köpfe sind auffällig schmal. Peter und Paula sind geistig zurückgeblieben. Die Mutter liebt die Kinder, so wie sie sind. Der Vater ist enttäuscht. Die Verwandten auf seiner Seite hadern – und machen der Mutter einen bösen Vorwurf: Sie habe »schlechte« Gene in die Familie gebracht.
    Die Vorwürfe und Schuldgefühle lassen der Mutter keine Ruhe. Sie entschließt sich, der rätselhaften Erkrankung von Peter und Paula auf den Grund zu gehen. Sie rennt jahrelang von Arzt zu Arzt, bis sie endlich den entscheidenen Tipp bekommt. Sie fährt nach Essen zum Institut für Genetik im Universitätsklinikum.
    Bernhard Horsthemke ist betroffen und gefesselt, als er die Geschichte von Paula und Peter hört. Betroffen, weil die Verwandten auf der väterlichen Seite die Mutter für die Behinderung der Kinder verantwortlich machen. Gefesselt, weil die Symptome der Kinder genau auf ein rätselhaftes Leiden passen, das den Genetiker schon immer interessiert hat. Je mehr er über die Kinder hört, desto sicherer ist er: Die Geschwister leiden unter dem Prader-Willi-Syndrom, einer nach zwei Schweizer Ärzten benannten Störung des Zentralnervensystems, die zumeist auftritt, weil auf einem Chromosom  15 ein DNA -Abschnitt fehlt.
    Dabei wäre das Fehlen eines DNA -Abschnitts normalerweise nicht unbedingt ein Problem. Von den Geschlechtschromosomen einmal abgesehen ist im Erbgut ja alles in zweifacher Ausfertigung vorhanden. Von einem Gen hat man üblicherweise eine Kopie vom Vater geerbt und eine von der Mutter.
    Der besagte Abschnitt auf Chromosom  15 ist jedoch eine Ausnahme, weil er der genomischen Prägung unterliegt. Dieses auch Imprinting genannte Phänomen betrifft nur wenige Stellen

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