Gene sind kein Schicksal
Horsthemke aus Essen) und brütet über den ungelösten Fragen seines Fachs. Das Problem des Imprinting hat Haig besonders beschäftigt – inzwischen glaubt er es gelöst zu haben.
Aus Haigs Sicht spiegelt sich im Imprinting ein Kampf der Geschlechter. Die genomische Prägung hält der Biologe für eine Waffe in einem evolutionären Konflikt zwischen der Mutter und dem Vater. Die beiden mögen einvernehmlich ein Kind gezeugt haben, doch verfolgen sie unterschiedliche Interessen. Aus evolutionärer Sicht investiert der Vater denkbar wenig in den Nachwuchs: nur ein einziges Spermium. Der Vater will einen möglichst feisten Fötus, weil dieser besonders gute Überlebenschancen hat. Aus diesem Grund werden väterliche Gene, die das Kind im Mutterleib gut wachsen lassen, in der natürlichen Selektion begünstigt und im Embryo aktiv. Dass dies zu Lasten der Mutter geht, die das dicke Baby ja im Mutterleib versorgen muss, ist dem Mann in evolutionärer Hinsicht egal – er kann noch andere Partnerinnen finden.
Die Mutter dagegen investiert viel mehr in das Baby, schließlich hält sie es mit Nährstoffen in ihrem Bauch am Leben. Das zwingt sie zu einer Güterabwägung. Auf der einen Seite möchte auch sie ein großes und kräftiges Kind haben, weil das dessen Überlebenschancen erhöht. Auf der anderen Seite darf sie nicht zu viel in dieses eine Kind investieren, weil sie sich noch um andere Kinder kümmern muss und ihre eigene Gesundheit nicht riskieren darf. Aus diesen Gründen versucht die Mutter einen Mittelweg. Sie investiert nicht zu viel.
Ausgetragen wird der Konflikt in den Zellen des Embryos, und zwar auf Ebene der Gene.
»Da findet ein regelrechtes Tauziehen statt«, erklärt David Haig. Die Kontrahenten sind Gene, die das Wachstum begünstigen. Jene Kopien dieser Gene, die vom Vater kommen, sind nicht methyliert und damit angeschaltet: Das Baby möge wachsen! Die Kopien dieser Gene, die von der Mutter kommen, sind dagegen methyliert und damit stillgelegt: Das Baby möge sich mäßigen!
Ein Beispiel für diesen Konflikt ist das Gen für den Wachstumsfaktor IGF 2 , von dem der Embryo eine mütterliche und eine väterliche Kopie trägt. In Menschen und anderen Säugetieren ist normalerweise nur die väterliche Version aktiviert. Doch manchmal ist auch das mütterliche
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-Gen angeschaltet: Beim Menschen hat das betroffene Kind ein um 50 Prozent erhöhtes Geburtsgewicht. Ist dagegen nicht nur das mütterliche, sondern auch das väterliche
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-Gen methyliert und damit ausgeschaltet, dann ist das Kind ein Leichtgewicht. Eine Ausnahme sind die Schnabeltiere. Sie sind zwar Säugetiere, legen jedoch Eier und haben keine Plazenta. Der Streit um die Ressourcen im Mutterleib entfällt also – und deshalb unterliegt das
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-Gen bei Schnabeltieren nicht dem Imprinting.
Vom Kostverächter zum Vielfraß
Das Verhalten von Kindern wie Paula und Peter steht ebenfalls im Einklang mit diesen evolutionären Zusammenhängen. Bei ihnen waren die betreffenden väterlichen Gene auf Chromosom 15 methyliert und damit abgeschaltet: Die Kinder sind deshalb Kostverächter, nicht nur im Mutterleib verlangen sie wenig Nahrung, sondern auch in den ersten Lebensmonaten, was die mütterlichen Ressourcen (Muttermilch) schont. Manche Neugeborene mit Prader-Willi-Syndrom sind derart schlechte Esser, dass sie künstlich ernährt werden müssen.
Im Alter von etwa zwei bis drei Jahren schlägt das Verhalten ins andere Extrem um. Viele Kinder mit Prader-Willi-Syndrom entwickeln plötzlich einen unheimlichen Appetit. Ihre Teller essen sie eigentlich immer leer. Später in der Kindheit neigen sie zu Völlerei und suchen in ihrer Umgebung systematisch nach Essbarem. Im Unterschied zu gesunden Altersgenossen sind sie alles andere als wählerisch. Wenn keine anderen Nahrungsmittel verfügbar sind, verschlingen sie in ihrem verzweifelten Hunger selbst Essensabfälle aus dem Müll oder nehmen Fleisch und andere Nahrungsmittel direkt aus der Tiefkühltruhe und lutschen daran. Der Biologe David Haig hat eine Erklärung für das Gebaren: Der Wandel vom Kostverächter zum nimmersatten Nachwuchs geschieht just in jener Lebensphase, in der ein Kind natürlicherweise abgestillt wird. Der Mutter kann der zu diesem Zeitpunkt ausbrechende Hunger nur recht sein, weil sie dem Kind keine Muttermilch mehr geben muss.
Das Imprinting prägt unsere Persönlichkeit
Mittlerweile haben Forscher bei vermutlich 40 bis 60 Genen des Menschen das Imprinting
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