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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Blech
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im Erbgut und hat oft zur Folge: Ein von der Mutter geerbtes Gen ist normalerweise ausgeschaltet und nur das väterliche Gegenstück aktiv. Geht nun diese einzige aktive Kopie auch noch verloren, etwa aufgrund eines zufälligen Fehlers bei der Zellteilung, dann gibt es für sie keinen Ersatz. Wenn dies alles auf Chromosom  15 geschieht, dann kommt es zum Prader-Willi-Syndrom.
    Abbildung  4 :
    Eugenia Martinez Vallejo
    Eugenia Martinez Vallejo wurde 1680 vom spanischen Maler Juan Carreño Miranda porträtiert. Sie hatte vermutlich das Prader-Willi-Syndrom. Als das Gemälde entstand, war sie sechs Jahre alt und in der Phase der Hyperphagie. Sie wog etwa 54  Kilogramm. Die kurze Statur, die mandelförmigen Augen, der schmale dreieckige Mund und die kleinen Hände deuten ebenfalls auf das Prader-Willi-Syndrom.
    Biologische Vorgänge sind störungsanfällig, und so geht auch der betreffende DNA -Abschnitt auf Chromosom  15 im mer wieder mal verloren, wenn Samenfäden heranreifen. Statistisch gesehen kommt eines von 10   000  Babys mit dem Prader-Willi-Syndrom auf die Welt. Damit zählt es zu den zehn häufigsten angeborenen Leiden. Allerdings ist es rein statistisch äußerst unwahrscheinlich, dass das Syndrom in einer Familie zweimal auftaucht. »Diese Familie ist so etwas wie eine blaue Mauritius«, sagt Bernhard Horsthemke. An einen Zufall jedenfalls will er nicht glauben, der Genetiker ahnt: Die Doppelerkrankung von Peter und Paula beruht auf einer noch unbekannten Ursache. Horsthemke macht sich daran, im Blut der Kinder nach der Antwort zu suchen. [24]
    Prägefehler in den Genen
    Die Vermutung des Genetikers wird bestätigt. Peter und Paula haben das Prader-Willi-Syndrom, aber sie sind ganz anders als alle Kinder mit der Erkrankung, die er selbst je untersucht hat oder von denen er durch Kollegen gehört hat. Den sonst üblichen Verlust eines bestimmten DNA -Abschnitts kann Horsthemke bei den Geschwistern nicht feststellen, ganz im Gegenteil: Die fraglichen DNA -Abschnitte auf Chromosom  15 sind in zweifacher Ausfertigung vorhanden. Allerdings ist nicht nur eine Ausfertigung methyliert (der Normalfall), sondern
beide
und damit ausgeschaltet. Dieser Prägefehler ist es, der das normale Gedeihen von Peter und Paula verhindert hat.
    Das andere Extrem gibt es auch, Horsthemke und seine Kollegen finden es in anderen Analysen in einer Familie mit einer elf Jahre alten Tochter und einem sieben Jahre alten Sohn. Bei ihnen sind die DNA -Abschnitte auf Chromosom  15 ebenfalls vollständig erhalten, aber keiner von ihnen ist methyliert: Sowohl die mütterlichen wie auch die väterlichen Gene sind aus diesem Grund dauerhaft angeschaltet – mit dramatischen Folgen für die Gesundheit. Die beiden Kinder zeigen die Symptome des nach einem englischen Arzt benannten Angelman-Syndroms: Sie sind geistig stark behindert und von bemerkenswerter Fröhlichkeit. Die Kinder leben in ihrer eigenen glücklichen Welt.
    Abbildung  5 :
    Krank durch falsche Epigenetik
Quelle: Horsthemke/Advances in Genetics 2008
    Die Geschichten dieser Familien zeigen zweierlei: Erstens leiden sie an Erkrankungen, obwohl ihre DNA -Sequenz gar nicht verändert, d.h. mutiert ist. Die Kinder sind krank, weil die Steuerung ihrer Gene gestört ist. Zum Zweiten führen unterschiedliche Fehlprägungen zu unterschiedlichen Syndromen.
    Die normale genomische Prägung, das Imprinting, betrifft mindestens 40 bis 60  Gene des Menschen. Je nachdem von welchem Elternteil die Gene kommen, wird jeweils eine Kopie ausgeschaltet. Aus evolutionärer Sicht erscheint es widersinnig, von zwei gesunden Genen eines abzustellen. Kein Pilot eines zweimotorigen Flugzeugs käme auf die Idee, eines seiner Triebwerke ohne Not auszuschalten. Warum aber geschieht dies gleichsam zu Beginn des Lebens? Warum unterliegen in einem Menschen etliche Gene diesem Imprinting?
    Tauziehen im Mutterleib
    Es gibt wohl keinen Wissenschaftler auf der Welt, der diese Frage besser beantworten kann als der Biologe David Haig. Sein Büro befindet sich im amerikanischen Cambridge, in einem Bau aus roten Backsteinen, der das Museum für Naturkunde der Harvard University beherbergt. Während unten Besucher den ausgestopften australischen Beutelwolf bestaunen und den präparierten Hammerhai in der weltberühmten Ausstellung bewundern, sitzt der bärtige Gelehrte ein Stockwerk darüber vor einem riesigen Bücherregal, blättert in wissenschaftlichen Aufsätzen (darunter Arbeiten des Genetikers Bernhard

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