Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg
weil erst das moderne Subjekt ganz persönlich dazu aufgefordert ist, etwas aus sich zu machen.« So erklärte mir damals Sighard Neckel, Soziologe in Frankfurt, die Tatsache, dass Scham alles andere als ein antiquiertes Gefühl ist. Das heißt: Versuchter, aber nicht gelungener Erfolg ist in unserer Gesellschaft oftmals ein Anlass für Scham und Beschämung.
Wir Mittelschichtsmitglieder mit unserem Ideal des unternehmerischen Selbsts sind besonders leistungs- und erfolgsorientiert und damit auch besonders empfänglich für das Gefühl der Beschämung. Konrad Schüttauf, Co-Autor eines Buches über Scham, sagte mir: »Wir alle bauen nach außen etwas auf, was wir in Wahrheit nicht sind. Gleichzeitig hängt aber unser Ansehen davon ab, dass das Erscheinungsbild, das wir aufbauen, geglaubt wird und in der Wirklichkeit wirkt. Gleichzeitig sind wir uns aber dessen bewusst, dass wir dabei Wesentliches von uns verdeckt halten, nämlich all die Dinge, die eben den Normen nicht genügen. Und jetzt tritt zwischen diesen beiden Bildern eine Spannung auf: Wir müssen die Verhüllung aufrechterhalten, und dabei kommt es eben immer wieder vor, dass diese Hülle fällt und die verborgenen Seiten ans Tageslicht treten – und dann tritt Scham ein.«
Aufgrund eben dieser Dynamik ist Laminat ein Tabuthema. Nein, ich will mich jetzt nicht als Sensationsjournalistin aufspielen und den »Tabubruch« wagen, indem ich den durchschnittlichen deutschen Fußbodenbelag skandalisiere. Es geht mir um einen Eindruck, den ich aus Gesprächen mit Bekannten und Kollegen gewonnen habe. Einige schienen auf eine merkwürdige Art peinlich berührt zu sein von meiner Laminatklage. Sie wollten darüber keinesfalls reden. Sie teilten mir schmallippig mit, dass sie selbst äußerst zufrieden seien mit ihrem Leben und ihrer sozialen Position. Sie betonten, dass es ihnen anders ginge als mir und sie es gar nicht hätten besser treffen können. Manchmal waren mir die Lebensumstände dieser Menschen bekannt, und ich wunderte mich, weil ich um die finanziellen oder sozialen oder sonstigen Schwierigkeiten oder Enttäuschungen in diesem Leben wusste. Nachdem ich ein paar Mal dieser Reaktion begegnet war und dadurch auch ausreichend Gelegenheit erhalten hatte, meine eigene darauf zu studieren – langatmige Rechtfertigungen –, begann ich zu verstehen: Wer zugibt, dass er gerne auf Parkett wohnen würde, sich aber nur Laminat leisten kann, der lüftet den Spalt zwischen privater und öffentlicher Person, der macht die Diskrepanz öffentlich zwischen dem Erfolgsanspruch des »großartigen Ich« und der trivialen Mittelmäßigkeit der Person dahinter, die sich nicht das leisten kann, was sie sich wünscht. Diese Diskrepanz soll aber verhüllt bleiben, denn eben ihre Veröffentlichung ist Anlass für Scham. Scham, lautet eine Definition, ist die Diskrepanz zwischen Ich-Ideal und Ich-Realität.
Um keine Diskrepanz zwischen Ich-Ideal und Ich-Realität aufkommen zu lassen, müsste ich so tun, als ob ich mit meinem Laminat gar kein Problem hätte. »Du wohnst auf Eichenparkett?«, müsste ich im Plauderton sagen. »Das ist ja schön. Aber ist das nicht sehr empfindlich? … Ich? Ich hab Laminat. … Wie? Nein, gar nicht. Das ist so viel leichter sauber zu halten, und es entwickeln sich auch nicht so schnell Wollmäuse. Ist einfach total praktisch. Und es gibt ja auch wirklich sehr schönes Laminat.« Mit dieser Aussage bliebe der gescheiterte Ehrgeiz der Privatperson Kathrin Fischer weiter verhüllt, und ihrem öffentlichen Erscheinungsbild wäre kein Schaden zufügt.
»Man kann schon mal fragen, ob die Frage ›Parkett oder Laminat‹ wirklich so weltbewegend ist«, stellte Stephan Lessenich übrigens am Ende unseres Gesprächs klar, was er von meinem Laminat-Gejammer hielt.
Ich will hier gar nicht behaupten, dass sie weltbewegend sei – ich wollte anhand der Laminat-statt-Parkett-Klage nur aufzeigen, wie stark schambesetzt fehlgeschlagene Erfolgsversuche sind, wie sehr wir uns und andere am Anspruch messen, wer wir sein wollen.
Ich bin mir sicher, dass aufgrund der zunehmenden wirtschaftlichen Sorgen der Mittelschicht, deren Löhne stagnieren, deren private Versicherungen ihnen aufs Budget schlagen und die bei steigenden Lebenshaltungskosten und ebensolchen Immobilienpreisen (versuchen Sie mal, in Frankfurt eine bezahlbare Wohnung zu kaufen oder zu mieten) eine gewaltige Steuerbelastung zu bewältigen haben, dass aufgrund dieser negativen wirtschaftlichen
Weitere Kostenlose Bücher