Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Titel: Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Fischer
Vom Netzwerk:
dass Denken und Fühlen sich verbinden müssen. Vielleicht leuchtet mir das mittlerweile auch deshalb wieder ein, weil ich einen Sohn habe, der noch so klein ist, dass er voller Mitgefühl steckt – für alles. Erwachsene sind oft sehr berührt von dieser Fähigkeit der Kinder: angesichts vertrockneter Gänseblümchen weinen zu können, Stofftieren Betten zu bauen, Hunden Bilder zu malen, dem Mond ein Lied zu singen. Es ist diese Verbundenheit mit allem, ganz gleich, ob belebt oder unbelebt, dieses Denken, das untrennbar mit dem Fühlen verbunden ist, das Erwachsene mit zunehmender Rationalität verlieren. Aber eine Sehnsucht danach bleibt zurück. Sicher können wir nicht zurück in diesen Zustand, sicher ist Abstraktion, Rationalität, strategische Intelligenz nicht gering zu schätzen, aber dennoch: Ein klein wenig von diesem Gefühl kann nicht schaden, denn es erinnert uns daran, dass wir Teil eines größeren Ganzen sind.
    Ich habe lange darüber nachgedacht, warum ich irgendwann in meinen späten Zwanzigern eben dieses Gefühl verloren habe, ein Gefühl, das mich als Sechzehnjährige beispielsweise vor Schulbeginn Flugblätter gegen den geplanten Bau einer Umgehungsstraße hat verteilen lassen. Was geschehen ist, dass ich mich anschließend so viele Jahre mokiert habe über die, die Utopien entwarfen und die Welt dann an dieser Utopie maßen mit dem vorhersagbaren Ergebnis, dass das bestehende System schlechter abschnitt als das im Kopf entworfene. Und natürlich gibt es dieses berühmte Zitat, das in verschiedenen Varianten George Bernhard Shaw, Theodor Fontane oder Winston Churchill zugeschrieben wird: »Wer mit zwanzig kein Sozialist ist, hat kein Herz – wer es mit vierzig immer noch ist, hat keinen Verstand.«
    Wer als rationaler Mensch an Utopien festhält, bedeutet das, ist einfältig, töricht und dumm. Verständig ist dagegen, wer sich »alternativlos« dem Bestehenden anpasst. Intelligenz bemisst sich nach dieser Vorstellung an der Fähigkeit, die Gegenwart gedanklich nicht zu überschreiten, die Grenze dessen, was als unverrückbar gilt, zu akzeptieren.
    Als Jugendliche waren viele meiner Träume relativ vage. Doch sie besaßen dieses starke Gefühl der Verbundenheit mit der Welt. Sie waren von Mitgefühl geprägt und der Sehnsucht danach, dass es allen Wesen gut gehen möge. Das hat mich gegen das, was ich als ungerecht oder schlecht empfand, kämpfen lassen. Der Direktor meines Gymnasiums prophezeite mir in irgendeiner heftigen Auseinandersetzung, die ich mit ihm als Schülervertreterin führte: »Du wirst dir deine Hörner auch noch abstoßen.«
    Damals war ich noch nicht mal zwanzig und empfand bei diesem Satz Verachtung und Mitleid gleichermaßen. Verachtung für die phantasielose Verallgemeinerung der eigenen Resignation, Mitleid für die Enge einer Welt, die nur von realitätstauglichen Prinzipien bestimmt ist. Natürlich: Meine Hörner waren noch nicht so oft gegen die stabilen Kanten der Unzulänglichkeit der Welt geknallt.
    Als ich erwachsen war, sah das dann tatsächlich anders aus. Warum eigentlich? Weil ich die Kämpfe einmal zu oft verloren hatte? Vielleicht. Aber vielleicht ist meine utopische Sehnsucht irgendwann auch einfach verebbt. Als ich zu arbeiten begann, veränderte sich etwas. Ich nehme an, weil ich Verstand beweisen, erfolgreich und rollenkonform sein wollte, weil ich die Welt als eine Hürde begriff, die ich nehmen konnte, an deren Überwindung ich beweisen konnte, wie gut ich in Form war. Im Rückblick würde ich sagen, dass ich Erwachsensein imitierte: Lebensversicherungen und Fonds anlegen, Möbel kaufen, ernsthafte Kleidung erwerben. In den Konferenzen so tun, als wüsste ich Bescheid. Ganz gleich, ob Feinstaub, SPD-Parteitag, Nahostkonflikt, die Festnahme von Ai Weiwei oder der Bürgerkrieg im Sudan – als Journalistin hatte ich die Welt im Griff. Da ruft man mal kurz im Hauptstadtstudio an und beauftragt einen Beitrag über die Haltung der Opposition zu Angela Merkels Europapolitik oder verwendet Begriffe wie »Machtapparat« für die chinesische Führung und »Außenpolitik« für eine Reise Westerwelles, und schon ist die Welt auf ein handliches Maß geschrumpft. Überblick besitzen, Kontrolle haben, verständig sein, damit war ich beschäftigt, da blieb kein Raum für grundsätzliche Fragen, Fragen, mit denen ich außerdem die Simulation meiner Kompetenz aufs Spiel gesetzt hätte, Fragen wie: Wollen wir so leben? Wie wollen wir leben? Ich wollte nicht in den

Weitere Kostenlose Bücher