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Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Titel: Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Fischer
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hin zu dem zu kommen, was nachhaltig Sinn stiftet.
    Mein Verleger Wolfgang Ferchl hat, als wir über dieses Buch sprachen, die These aufgestellt, dass die Konjunktur des »einfachen« Lebens, des Verzichts auf Konsum und die Suche nach einem Sinn, der außerhalb des materiellen Wohlstands liegt, wie auch der anhaltende Erfolg der Grünen dadurch verursacht sind, dass immer mehr Menschen in den entwickelten Industrieländern sich das gewohnte konsumorientierte Leben einfach nicht mehr leisten können. Eine ganze Gesellschaft verhalte sich also wie der Fuchs, dem die nicht erreichbaren Trauben angeblich zu sauer sind.
    Ich persönlich empfinde diese These, der ich durchaus zustimmen kann, nicht als Diskreditierung dieser neuen Haltung, sondern eher als sinnvolle Verhaltensänderung. Ändert sich das Umfeld mitsamt den dazugehörigen Lebensbedingungen, dann müssen sich die Menschen in ihrem Denken, ihren Haltungen, Überzeugungen und Strategien diesen Veränderung anpassen, wenn sie überleben wollen. Der amerikanische Evolutionsbiologe Jared Diamond hat in seinem Buch Kollaps die Gründe untersucht, warum Gesellschaften untergehen. Einer davon lautet: eine falsche Reaktion der Gesellschaft auf Veränderung. Ein sehr eindringliches Beispiel sind die Wikinger, die mit ihrer Besiedlung Grönlands gescheitert sind, weil sie an tradierten Verhaltensweisen festgehalten haben, obwohl die unter den neuen Lebensbedingungen schädlich waren. Dass sie etwa keinen rohen Fisch aßen, wie die Inuit, die auf Grönland prima zurechtkamen, sondern stattdessen mageres, schwaches Vieh auf die erodierenden Weiden trieben. Die Wikinger auf Grönland starben, die Inuit überlebten.
    Bescheidenheit als neue Denkfigur ist als Strategie angesichts der ökologischen und sozialen Kosten unseres konsumorientierten Lebensstils durchaus sinnvoll. Ich empfinde sie allerdings als schwierig, wenn sie lediglich eine individuelle Reaktion auf ein generell erstrebenswertes Lebensführungsmuster bleibt. Wenn man, wie Anna, sich eine Stereoanlage nur deshalb nicht wünscht, weil man sie sich sowieso nicht leisten kann. Wenn man also rein individuelle Anpassung betreibt.
    Sich zu fragen: Brauche ich wirklich Flachbildschirmfernseher im Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmer, alle drei Jahre eine neue Stereoanlage, immer das neueste Handy, empfinde ich es als Menschenrecht, jedes Jahr dreimal in Urlaub zu fliegen und Fisch zu essen, ganz gleich, wo er herkommt? – diese Art von reflektierendem Umdenken, von kollektiver Überprüfung unseres selbstverständlichen Wohlstandes, diese Art von grundsätzlicher Bescheidenheit kann dagegen tatsächlich Veränderung bewirken. Politischer Wandel braucht erst mal eine Kritik des Bestehenden, anschließend eine Mobilisierung der Menschen – und er braucht politische Führung. Individuelle Bescheidenheit reicht da nicht aus.
    »Und es gibt ja auch wirklich sehr schönes Laminat«
    Im Jahr 2004 habe ich eine Radio-Reihe zum Thema »Scham« verfasst. »Das Dschungelcamp« war damals gerade als neues Fernsehformat zu bestaunen, und ich fragte mich – peinlich berührt von Kakerlakenbad und Würmermahlzeiten –, woher die kollektive Lust an Demütigung und Beschämung stammte. Die Frage führte ohne Umwege in das Herz der »Leistungsgesellschaft«, also jener Gesellschaft, in der jeder der Unternehmer seiner selbst ist und in der wirtschaftlicher und sozialer Erfolg nicht vom Stand, sondern von Verdienst und Leistung abhängen. Es ist eine Gesellschaft, in der der Tellerwäscher dem Mythos nach Millionär werden kann, in der man also seine Geburtsposition durch eigenen Erfolg verbessern kann. Genau das versuchen in einer solchen Gesellschaft die Menschen. Und besonders stark versuchen es die Mitglieder der Mittelschicht, die dem süßen Leben zumindest schon so nah sind, dass sie es riechen können.
    Wer etwas versucht, der kann scheitern. Das ist dann nicht nur ärgerlich, sondern auch beschämend, denn die anderen haben einen Hang dazu, denjenigen, der gescheitert ist, an dem Anspruch seines eigenen Ehrgeizes zu messen. »Da hat er sich wohl überschätzt«, lautet dann eine Reaktion mit mal mehr, mal weniger hämischem Unterton. Oder man fragt, schon deutlich moralischer: »Was maßt der sich an?«
    »Das sind Möglichkeiten der Beschämung, die erst mit der modernen Gesellschaft entstanden sind, weil wir erst in der modernen Gesellschaft das Prinzip der persönlichen Selbstverwirklichung, des Individualismus haben, und

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