Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
Wattejacke, ein Paar Schuhe, eine Pelzmütze mit Ohrenklappen sowie ein Fernseher der Marke Sony Black Trinitron. Unser Korrespondent aus Tschetschenien berichtet. . .«
    Girejew stellte den Ton ab.
    »Du bist doch nicht gekommen, um Fernsehen zu gucken?« fragte er.
    »Das fehlte noch. Ich wundere mich bloß, daß er bei dir auf dem Kopf steht.«
    »Ein Thema ohne Ende.«
    »So wie mit den Gurken? Nur nach Initiation?«
    »Nein, wieso?« Girejew hob die Schultern. »Das sind zugängliche Informationen. Aber sie beziehen sich auf eine Praktik des echten Dharmas, und indem du um diese Informationen bittest, übernimmst du die karmische Verpflichtung, die Praktik auch auszuüben. Und das machst du sowieso nicht, wie ich dich kenne.«
    »Wieso nicht? Erzähl doch mal.«
    Girejew seufzte und sah nach draußen auf die im Wind schwankenden Riesendolden.
    »Der Buddhismus kennt drei Arten fernzusehen. Das heißt, im Grunde ist es jedesmal dieselbe Art, nur auf unterschiedlichem Trainingsniveau. Zuerst guckst du Fernsehen ohne Ton. Ungefähr eine halbe Stunde täglich, Sendungen, die du gern siehst. Immer wenn der Gedanke aufkommt, daß da im Fernsehen gerade etwas Wichtiges und Interessantes gesagt werden könnte, vergegenwärtigst du dir diesen Gedanken und neutralisierst ihn damit. Am Anfang kann es Vorkommen, daß du schwach wirst und den Ton anstellst, aber mit der Zeit gewöhnst du dich daran. Wichtig ist, im Moment der Schwäche kein Schuldgefühl zu haben. Es geht am Anfang allen so, auch den Lamas. Als nächstes machst du es umgekehrt: Du läßt den Ton laufen und drehst das Bild dunkel. Und zum Schluß läßt du beides weg. Das ist die hohe Schule, die ersten zwei sind nur Aufbaustufen. Du schaust alle möglichen Nachrichtensendungen, ohne den Fernseher einzuschalten. Sehr wichtig dabei ist ein gerader Rücken, und die Hände legst du am besten auf den Bauch: die Rechte unten, die Linke oben. Frauen machen es umgekehrt. Und du darfst dich keine Sekunde ablenken lassen. Wenn man auf diese Art zehn Jahre lang täglich eine Stunde fernsieht, hat man am Ende die Natur des Fernsehens durchschaut. Und alles übrige ebenso.«
    »Und warum steht der Apparat bei dir auf dem Kopf?«
    »Das ist die vierte Art. Der Buddhismus erlaubt ihre Verwendung, wenn die Umstände es erfordern, Bild und Ton einzuschalten. Wenn man zum Beispiel den Dollarkurs erfahren will, aber nicht weiß, wann und wie sie ihn bekanntgeben: ob sie ihn ansagen oder nur die Tafeln vor den Wechselstuben einblenden.«
    »Aber wieso verkehrt herum?«
    »Wieder eine andere Geschichte.«
    »Ich bitte darum.«
    Girejew wischte sich mit der flachen Hand die Stirn und seufzte noch einmal. Er schien nach Worten zu suchen.
    »Hast du schon mal darüber nachgedacht, woher der flammende Haß in den Augen der Fernsehansager kommt?« fragte er schließlich.
    »Ach, hör mir auf«, sagte Tatarski. »Die gucken doch überhaupt nicht in die Kamera, das scheint nur so. Direkt unterm Objektiv steht ein Spezialmonitor, über den scrollt die Moderation, mit Hilfszeichen zur richtigen Gestik und Betonung. Davon gibt es, glaube ich, sechs – mal sehen, ob ich sie zusammenkriege: Ironie, Trauer, Skepsis, Improvisation, Zorn und Scherz. Es kann also gar kein Haß ausgestrahlt werden, weder dienstlich noch privat. Dafür existiert kein Zeichen. Das weiß ich sicher.«
    »Ich sage ja nicht, daß die etwas ausstrahlen. Aber während sie ihren Text ablassen, schauen ihnen ein paar Millionen Leute direkt in die Augen, Leute, die in aller Regel stinksauer und vom Leben frustriert sind. Und nun stell dir vor, was für ein kumulativer Effekt entsteht, wenn sich in einer Sekunde dermaßen viele verarschte Bewußtseine in ein und demselben Punkt treffen. Kannst du mit dem Begriff Resonanz etwas anfangen?«
    »Ich denke schon.«
    »Gut. Wenn ein Bataillon Soldaten im Gleichschritt über eine Brücke marschiert, kann die Brücke einstürzen. Solche Fälle hat es gegeben, und seitdem wird das Kommando zum Gleichschritt aufgehoben, wenn eine Brücke kommt. Wenn nun dermaßen viele Leute in den Kasten starren und sehen alle dasselbe, was muß da für eine Resonanz in der Noosphäre entstehen!«
    »In der was?« fragte Tatarski, doch da klingelte in seiner Tasche das Handy, er unterbrach das Gespräch und hob entschuldigend die Hand. Laute Musik und Stimmengewirr krachten ihm ins Ohr.
    »Babi!« übertönte Morkowins Stimme den Lärm. »Wo steckst du? Bist du heil?«
    »Bin ich«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher