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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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kannte: Es war sein alter Philosophiedozent vom Literaturinstitut. Weniger an den Gesichtszügen hatte er ihn erkannt – er war stark gealtert – als an diesem staunenden Tonfall, der ihm von den Vorlesungen her in Erinnerung geblieben war: »Das Objekt hat doch wirklich seine Mucken!« hörte er ihn, den Blick zur Hörsaaldecke gerichtet, dozieren. »Es will vom Subjekt erst einmal entkleidet werden. Sonst läuft nichts! Und erst dann, wenn das Subjekt Glück hat, kommt es zur Verschmelzung.«
    Die Verschmelzung mußte inzwischen stattgefunden haben. Auch so kann es zugehen! dachte Tatarski, zückte sein Büchlein und notierte den in der Kneipe erfundenen Slogan:
    Diamonds are not forever!
Bestattungsinstitut Gebrüder Debirsjan
    Der Autokorso verschwand hinter der Kurve. Es stand zu erwarten, daß Tatarski nach dieser Geschichte flog. Wohin jetzt? überlegte er. Egal. Zum Beispiel zu Girejew. Der wohnte ja wohl ganz in der Nähe.
    Tatsächlich war Girejews Haus leicht zu finden – immer noch stand im Vorgarten dieser unglaublich hochstämmige Bärenklau, kein wucherndes Unkraut mehr, sondern ein rauschendes Wäldchen. Tatarski mußte mehrmals an die Pforte klopfen, ehe Girejew auf der Veranda erschien: die Hosen, Farbe unbestimmbar, mit ausgebeulten Knien, auf dem Shirt ein großes A im regenbogenfarbenen Kreis.
    »Komm rein«, sagte er. »Die Pforte ist offen.«
    Girejew trank, und dies wohl seit Tagen; er schien eine größere Summe Geld auf den Kopf gehauen zu haben, die nun zur Neige ging. Ein solcher Befund ließ sich deduktiv aus der Ansammlung leerer Flaschen herleiten. Hinten, mehr zur Wand hin, standen Whisky – und Cognacflaschen der teuren Marken; in Richtung Zimmermitte schlossen sich irgendwelche abenteuerlichen Wodka-Sorten an: Schwarzdestillate aus der näheren Umgebung mit Namen voll südlicher Romantik und Leidenschaft. Ansonsten hatte sich die Küche seit Tatarskis letztem Besuch nur mäßig verändert; sie war schmutziger als damals und hatte neue Bilder furchterregender tibetischer Gottheiten an den Wänden. Und noch eine Neuheit gab es: In der Ecke flimmerte ein Fernseher.
    Erst als Tatarski am Tisch saß, merkte er, daß der Fernseher kopfstand. Es lief ein Trickfilm-Vorspann: Ein Auge mit langen, fettschwarz getuschten Wimpern wurde von einer Fliege umkreist. In dem Moment, da der Titel der Sendung – DAS GLÄSERNE AUGE – ins Bild sprang, ließ sich die Fliege auf der Pupille nieder und klebte fest, die Wimpern bewegten sich auf sie zu wie die Borsten einer Venusfalle. Dann erschien der Moderator, er trug die Uniform eines Wachtruppenmajors. Tatarski konnte sich denken, daß dies die Trotzreaktion eines Kreativen aus der siebten Etage auf die kürzliche Hausmitteilung eines Kreativen aus der achten war, in der es geheißen hatte, das Fernsehen in Rußland sei ein Werkzeug staatlicher Gewalt. Der Moderator, wie er da auf dem Kopf stand, ähnelte einer an unsichtbarer Stange hängenden Fledermaus. Daß es Asadowski war, nahm Tatarski inzwischen gelassen hin. Das Haar hatten sie ihm pechschwarz gefärbt und ein schmales Tangobärtchen auf die Oberlippe geschminkt. Mit dümmlichem Lächeln begann er:
    »In aller Bälde wird im schönen Murmansk der Atomraketenkreuzer Idiot vom Stapel laufen, der anläßlich des einhundertfünfzigsten Geburtstages von Fjodor Michailowitsch Dostojewski privatisiert worden ist. Bislang ist noch nicht bekannt, ob es der Regierung gelingt, das beim Verkauf des Schiffes erhaltene Geld wiederzufinden, darum werden Forderungen laut, ein weiteres Schiff dieses Typs zu privatisieren, der betreffende Kreuzer heißt Schuld und Sühne und ist so groß, daß die Matrosen ihn stolz als schwimmenden Archipel GULag bezeichnen. Momentan ist Schuld und Sühne auf dem Weg durch das Nördliche Eismeer zu seinem Heimathafen. Neues vom Buchmarkt!«
    Asadowski zauberte ein Buch aus der Versenkung, von dessen Cover einen die Dreifaltigkeit aus Granatwerfer, Kettensäge und nackter Frau ansprang.
    »Ein gutes Herz braucht starke Fäuste! heißt ein altes Sprichwort. Wir wissen es, und doch hat uns zum Glück immer noch etwas gefehlt. Ein Buch, auf das wir lange gewartet haben: Gutes Herz mit starken Fäusten und großem Schwanz. Die Abenteuer Swjatoslaw des Harten. Neues aus der Wirtschaft. Heute wird im russischen Parlament der Mindestwarenkorb für das laufende Jahr verabschiedet. Darin liegen zwanzig Kilo Eierteigwaren, ein Zentner Kartoffeln, sechs Kilo Schweinefleisch, eine

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