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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Kooperation? Den haben sie umgenietet.«
    »Großer Gott. Das wußte ich noch nicht. Wer denn?«
    »Weiß keiner. Die Tschetschenen oder die Bullen. Die einen behaupten so, die anderen so. Ging angeblich um irgendwelche Brillanten. Dunkle Geschichte. Wo willst du hin?«
    »Ich muß mal.«
    Das Klo war noch dreckiger als der übrige Teil der Kneipe. Die geologischen Aufschlüsse oberhalb der Rinne ins Auge fassend, bemerkte Tatarski ein abgebröckeltes Putzdreieck und mußte sofort wieder an den armen Chanin denken. Er wußte auch, warum: Es hatte genau die einprägsame Form des Brillantcolliers, das bei Chanin als Photo über dem Klo gehangen hatte. Im nächsten Augenblick hatte sich das Mitgefühl mit dem einstigen Chef auf alchimistische Weise in den von Sasha Blo bestellten Werbespruch verwandelt.
    Aus der Toilette kommend, blieb Tatarski stehen. Ihm bot sich ein überraschendes Bild. Offensichtlich hatte der Flur einmal eine Zwischentür gehabt, die mitsamt dem Rahmen herausgebrochen worden war, und nun ragte ringsum aus Wand und Decke ein Streifen Mauerwerk, den jemand grob mit schwarzer Farbe angepinselt hatte. Es ergab sich, vor allem der gerundeten Ecken wegen, der phänomenale Effekt eines überdimensionalen Fernsehbildschirms. Asadowski und sein Gefolge waren in dem Fernseher nicht zu sehen, dafür das Ganovenduo am vorderen Tisch sowie ein neuer Gast, der sich zu ihnen gesellt hatte: ein dürrer, hochgewachsener Alter in braunem Regenmantel, Baskenmütze und einer klobigen Brille mit zu kurzen Bügeln; die Augen hinter den dicken Gläsern wirkten unproportional groß und staunend wie die eines Kindes. Tatarski hätte schwören können, dem Mann schon irgendwo begegnet zu sein. Er hatte bereits eine kleine, abgehalfterte Zuhörerschaft um sich versammelt.
    »Männer«, sagte er mit feiner Stimme, in der viel echtes Staunen mitschwang, »ihr werdet es mir nicht glauben! Vorhin war ich im Gemüseladen am Kursker Bahnhof und hab mir eine Halblitergranate geholt, stell mich an der Kasse an, und wen sehe ich in den Laden kommen? Tschubais! Ich denk, mich tritt ein Pferd! Er hatte so einen feinen, grauen Mantel an, Wollschal und Mütze. Und keine Leibwache. Nur so eine Beule in der rechten Manteltasche, könnte ein Pistolenlauf gewesen sein. Und stellt euch vor: Geht der doch in die Konservenabteilung und holt sich ein Dreiliterglas eingelegte Tomaten – die grünen, bulgarischen, kennt ihr ja, nicht wahr. Und hat ein Netz dabei, wo er sie reinpackt. Wie ich ihn gesehen hab, ist mir der Mund offenstehen geblieben. Er hat’s gemerkt und mir im Rausgehen zugezwinkert. Ich zum Schaufenster. Da stand so ein schwarzes Auto mit Rundumleuchte, wo man auch glatt denkt, die zwinkert einem zu. Da ist er rein, zack und weg. Sachen gibt‘s, die gibt’s gar nicht.«
    Tatarski stach der Hafer. Er hüstelte, der Mann blickte zu ihm herüber.
    »Volkes Wille!« sagte Tatarski und zwinkerte frech.
    Er hatte die Worte ganz leise gesagt, doch der Alte hatte sie vernommen, zupfte einen der Ganoven am Ärmel und nickte kurz in seine Richtung. Synchron stellten die beiden Typen ihr Flaschenbier auf dem Tisch ab und kamen mit schwachem Leuchten in den Augen auf Tatarski zu. Einer schob die Hand in die Tasche – und Tatarski wußte, daß er im nächsten Moment ein toter Mann sein konnte.
    Der Adrenalinstoß, der durch seinen Körper ging, verlieh ihm eine erstaunliche Behendigkeit. Im Nu hatte er sich umgedreht, war aus der Kneipe gesprungen und rannte quer über den Platz. Als er ungefähr die Mitte erreicht hatte, knallte es in seinem Rücken mehrmals, etwas pfiff knapp an ihm vorbei. Tatarski verdoppelte sein Tempo. Erst unmittelbar vor einem großen Holzhaus, hinter dessen Ecke er Schutz suchen konnte, riskierte er einen Blick zurück. Die Ganoven schossen nicht mehr, weil mittlerweile Asadowskis Bodyguards mit ihren Maschinenpistolen bei ihnen waren. Flach gegen die Wand gepreßt, zog Tatarski mit steifen Fingern eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. So kann es zugehen! dachte er. Ganz unfeierlich und ohne daß man drauf gefaßt ist. Als er den nächsten Blick um die Ecke wagte, war die Zigarette schon fast bis zum Filter aufgeraucht. Asadowski und sein Gefolge saßen in den Autos, die Ganoven mit blutig geschundenen Gesichtern zwischen den Guards auf einem der Rücksitze, während der alte Mann im braunen Mantel sich vor einem der stoischen Wächter echauffierte. Tatarski wußte inzwischen, woher er den Mann

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