Generation P
blauen Hum ist äquivalent drei Stunden Samatha – oder einer Stunde Vipassana-Meditation.«
»Aha«, gab Tatarski gedehnt seiner Skepsis Ausdruck. »Verdienste worin?«
»Wie – worin?« fragte das Mädchen zurück und zog die Brauen hoch. »Wollen Sie es kaufen oder sich bloß unterhalten?«
»Kaufen natürlich«, bestätigte Tatarski. »Aber ich muß doch wissen, was ich kaufe. Rechts neben der höheren Praxis, was ist das?«
»Das ist eine Planchette. Klassische Ausführung.«
»Die nimmt man wozu?«
Das Mädchen seufzte. Man sah, daß sie für heute genug von diesen Idioten hatte. Sie nahm die Planchette herunter und stellte sie vor Tatarski auf den Ladentisch.
»Sie setzen sie auf einen Bogen Papier«, erläuterte sie. »Hier über die Klemmen läßt sich ein Drucker anschließen. Hier wird das Papier eingezogen, hier stellen Sie auf langsamen Zeilenvorschub. Bequemer ist es von der Rolle. Hier in die Nut kommt der Stift, am besten ein Kugelschreiber. Oben legen Sie die Hände auf – so wie ich jetzt. Dann kontaktieren Sie den Geist und lassen die Hände sich frei bewegen. Der entstehende Text wird vom Stift aufgezeichnet.«
»Bitte seien Sie mir nicht böse«, sagte Tatarski, »aber ich wüßte gar zu gern, was für einen Geist man kontaktieren soll?«
»Wenn Sie es kaufen, sage ich es Ihnen.«
Tatarski zog das Portemonnaie hervor und zählte die nötigen Scheine ab. Für ein Stück lackiertes Sperrholz auf drei Rädern erschien der Preis gepfeffert, doch war es gerade diese Unangemessenheit im Verhältnis von Geld und Ware, die Vertrauen weckte – mehr, als irgendwelche noch so tiefsinnigen Erklärungen hätten wecken können.
»So«, sagte er, als die Scheine auf dem Tisch lagen. »Welchen Geist kontaktiere ich nun?«
»Das hängt von der Stärke Ihres persönlichen Kraftfeldes ab«, sagte das Mädchen, »und insbesondere von Ihrem Glauben an die Existenz von Geistern. Gelingt es Ihnen mit der Methode von Castaneda, Band zwo, Ihren inneren Dialog zum Stillstand zu bringen, dann werden Sie mit dem Geist des Abstrakten in Kontakt treten. Als Christ oder Satanist können Sie mit konkreten verkehren. Für welche interessieren Sie sich?«
Tatarski antwortete mit einem Schulterzucken.
Das Mädchen hob den Kristall, der ihr an einem schwarzen Lederriemchen um den Hals hing, und schaute zwei, drei Sekunden hindurch auf Tatarskis Stirn.
»Was sind Sie? Ich meine, was machen Sie beruflich?«
»Werbung.«
Das Mädchen fuhr mit der Hand unter den Tisch und zog ein kariertes Schulheft hervor, in dem sie längere Zeit blätterte; die Seiten waren voller Tabellen, ihre Spalten mit winziger Schrift gefüllt.
»Für Sie wäre es am besten«, befand sie schließlich, »den empfangenen Text als freien Output der unbewußten psychischen Energie mit Hilfe der antrainierten Schreibmotorik zu lesen. Die Ausmistung der Augiasställe eines Werbemannes sozusagen. Eine solche Herangehensweise kränkt die Geister nicht gar zu sehr.«
»Sie müssen schon entschuldigen«, sagte Tatarski, »aber wollen Sie damit behaupten, die Geister könnten beleidigt sein, wenn sie erführen, daß ich für die Werbung arbeite?«
»Ich denke schon. Und vor dem Zorn der Geister schützen Sie sich am besten, indem Sie deren Existenz überhaupt in Zweifel ziehen. Letzten Endes ist alles auf dieser Welt eine Frage der Interpretation, und die quasiwissenschaftliche Beschreibung einer spiritistischen Sitzung ist genauso authentisch wie jede andere. Außerdem würde jeder aufgeklärte Geist der Behauptung, daß er nicht existiert, beipflichten.«
»Interessant. Und woran erkennen die Geister, daß ich bei der Werbung arbeite? Steht mir das etwa auf der Stirn geschrieben?«
»Nein«, sagte das Mädchen. »Es steht in der Werbung geschrieben, daß Sie Ihrer Stirn entsprungen ist.«
Tatarski war nahe daran, sich ob dieser Worte gekränkt zu fühlen, überlegte es sich aber anders und war geschmeichelt.
»Wissen Sie was? Wenn ich wieder mal eine Konsultation in Geistesfragen brauche, komme ich bestimmt zu Ihnen. Falls Sie nichts dagegen haben.«
»Alles liegt in Allahs Hand«, erwiderte das Mädchen.
»Entschuldigen Sie«, wurde das Mädchen von einem jungen Mann mit geweiteten Pupillen angesprochen, der eben noch friedlich in eine Riesenkristallkugel geblickt hatte. »Wieso denn alles? Was ist mit dem Geist Buddhas? Allahs Hand ist doch nur im Geist Buddhas. Das werden Sie doch nicht bestreiten?«
Das Mädchen hinter dem Ladentisch
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