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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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keine Theatralik!« Chanin schaute finster drein.
    »Nein, nein«, sagte Tatarski, der sich schon wieder in der Gewalt hatte, »Sie verstehen mich falsch. Theater spielen wir sowieso alle, die Frage ist, wie man sich richtig positioniert, nicht wahr?«
    »Richtig.«
    »Was ich mit den Huren meine, ist: Es geht doch nicht darum, daß man etwas widerwillig tut. Die Sache ist die, daß eine Hure ihr Geld so oder so verdient: ob es dem Kunden gefallen hat oder nicht. Ich hingegen muß zuerst mal. . . na, Sie wissen, was ich meine. Und hinterher kann der Kunde entscheiden, ob er zahlt oder nicht. Zu solchen Bedingungen würde keine Hure arbeiten, das steht fest.«
    »Eine Hure vielleicht nicht. Wir aber müssen es tun, wenn wir in dem Geschäft überleben wollen. Wir werden noch ganz andere Dinge tun müssen.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Tatarski. »Da wäre ich mir nicht so sicher.«
    »Doch, mein lieber Babilen«, sagte Chanin und sah ihm in die Augen.
    Tatarski spitzte die Ohren.
    »Woher haben Sie das?«
    »Von Pugin. Und was die Positionierung angeht. . . Sehen wir es einstweilen so, daß du dich ordentlich positioniert hast und ich deine Position verstanden habe. Willst du bei mir als Fester arbeiten?«
    Tatarski ließ den Blick noch einmal zu dem Plakat mit den drei Palmen hinüberwandern, das der englischsprachigen Bevölkerung die ewigen Metamorphosen versprach.
    »In welcher Funktion?«
    »Als Kreativer.«
    »Mit anderen Worten – als Autor?«
    Chanin zeigte ein mildes Lächeln.
    »Autoren können uns hier gestohlen bleiben«, sagte er. »Als Kreativer, Babi. Das ist etwas ganz anderes.«
    Tatarski trat ins Freie und lief gemächlich Richtung Zentrum.
    Die Freude über die unverhoffte Anstellung hielt sich in Grenzen. Da war etwas, das ihn beunruhigte: Er war sich beinahe sicher, daß er Pugin die Geschichte um seinen wahren Vornamen nie erzählt, sondern sich einfach mit Wladimir vorgestellt hatte. Freilich konnte er sich bei irgendeinem heftigen Besäufnis unter vier Augen (wovon es mehrere gegeben hatte) verquatscht und es anschließend wieder vergessen haben. Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Andere mögliche Erklärungen waren so verquickt mit seiner genetisch kodierten Angst vor dem KGB, daß er sie sofort verwarf.
    Es war wohl auch ziemlich egal.
    »This game has no name«, flüsterte er und ballte die Fäuste in den Jackentaschen.
    Die unvollendete sowjetische Zikkurat war in der Erinnerung wiederauferstanden, und zwar so detailliert, daß Tatarski das beinahe schon vergessene Fliegenpilzzittern ein paarmal in den Fingern zu spüren meinte. Die mystische Kraft tat allerdings des Guten zuviel, indem sie seiner verschreckten Seele eine erdrückende Zahl an Verweisen zumutete: erst das Plakat mit den Palmen und der bekannten Textzeile, hernach die von Chanin vor einigen Minuten wie zufällig gebrauchten Worte Turm und Lotterie und dann auch noch dieses Babilen, das ihn am meisten in Aufruhr versetzte.
    Vielleicht habe ich mich auch verhört! dachte Tatarski, oder es liegt an seiner Aussprache. Aber ich habe ihn ja gefragt, woher er weiß, daß ich Babilen heiße, und er hat gesagt, von Pugin. Trotzdem, so besoffen kann man gar nicht sein.
    Nach vierzig Minuten in dieser verhaltenen, gedankenschweren Gangart stand er vor dem Majakowski-Denkmal. Er blieb stehen und betrachtete es gründlich. Das Bronzejackett, das die Sowjetmacht dem Dichter für die Ewigkeit verpaßt hatte, war inzwischen wieder in Mode – Tatarski erinnerte sich, kürzlich in einer Kenzo-Reklame einen ähnlichen Schnitt gesehen zu haben.
    Während er das Standbild umrundete und sich an dem kräftigen Hintern des Krakeelers und Vorzeigepoeten ergötzte, gelangte Tatarski zu der Überzeugung, daß seine Seele von einer Depression heimgesucht worden war. Erfahrungsgemäß ließ sie sich auf zweierlei Art ausräumen: a) durch den Genuß von etwa einhundert Gramm Wodka oder b) durch den schnellen Erwerb irgendeiner Ware im Wert von etwa einhundert Dollar. (Die erstaunliche Tatsache war Tatarski schon vor einiger Zeit aufgefallen: Beide Verrichtungen führten zu einem vergleichbaren Zustand leichter Euphorie, der etwa anderthalb Stunden vorhielt.)
    Auf Wodka hatte er keine Lust – die eben heraufbeschworenen Erinnerungen an die Besäufnisse mit Pugin waren noch zu gegenwärtig. Tatarski blickte sich um. Läden gab es im Umkreis jede Menge, doch waren sie allesamt irgendwie zu speziell. Jalousien beispielsweise konnte er beim besten

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