Generation P
entstehen, daß es sich um eine belanglose Tatsache handelt. Wir versteigen uns demgegenüber zu der Behauptung, daß von einem – wenn nicht dem! – essentiellen psychischen Phänomen ausgangs des zweiten Jahrtausends die Rede sein soll.
Dem beschriebenen, durch verschiedene Technomodifikationen erzeugten Bildwechsel auf dem Fernsehbildschirm ist ein psychischer Vorgang zuzuordnen, bei dem der Zuschauer genötigt wird, sein Augenmerk ständig von einem Ereignis auf ein anderes umzufokussieren und dabei das herauszufiltern, was ihn interessiert – und das heißt, es in der Weise zu verändern, wie es den Produzenten vorschwebte. Dieser Vorgang erzeugt ein virtuelles Subjekt, das, solange die Sendung andauert, an die Stelle des Menschen tritt, der den Fernseher eingeschaltet hat, das in ihn hineinfährt wie die Hand in einen Gummihandschuh.
Es läßt sich dieses recht gut vergleichen mit der Besessenheit durch einen Geist – mit dem Unterschied, daß kein Geist existiert; vorhanden sind lediglich die Symptome der Besessenheit. Der Geist ist nicht existent, doch in dem Moment, da der Fernsehzuschauer dem Produktionsteam erlaubt, sein Augenmerk willkürlich von dem einen Objekt auf das andere abzuziehen, wird er gewissermaßen selbst zu diesem Geist; der Geist, den es in Wirklichkeit nicht gibt, beherrscht ihn und mit ihm Millionen anderer Zuschauer.
Der Vorgang ließe sich treffend als kollektive Nichtseinserfahrung bezeichnen, da das virtuelle Subjekt, welches das ureigene Bewußtsein des Zuschauers vertritt, absolut gesehen nicht existiert – es ist nur ein Effekt, der durch die kollektive Anstrengung von Kameraleuten, Szenenbildnern und Regisseuren zustande kommt. Andererseits gibt es für den Fernsehenden nichts Wahrhaftigeres als dieses virtuelle Subjekt.
Und damit nicht genug. Lapsang Suchong aus dem Kloster Pu Erh ist der Meinung, daß, wenn eine bestimmte Sendung – sagen wir: ein Fußballspiel – gleichzeitig von mehr als vier Fünfteln der Weltbevölkerung gesehen werde, der virtuelle Effekt so einschneidend sei, daß die gemeinsame karmische Vision eines Planes menschlicher Existenz aus dem Kollektivbewußtsein der Menschheit verdrängt werde, was unabsehbare Folgen nach sich ziehe. (Denkbar sei, daß zur Hölle der Metallschmelze und zur Hölle der Messerbäume eine dritte hinzukomme: die Hölle der Ewigen Fußballweltmeisterschaft.) Freilich sind diese Hypothesen nicht verifiziert, und außerdem sind wir noch nicht so weit. Hier sollen uns nicht die erschreckenden Aussichten auf den morgigen Tag interessieren, sondern die kaum weniger erschreckenden Realitäten der Gegenwart.
An dieser Stelle sei eine erste Schlußfolgerung gezogen. Einem Typ-2-Objekt, wie der laufende Fernseher es darstellt, entspricht ein Typ-2-Subjekt, ein virtueller Zuschauer nämlich, der sein Augenmerk genauso steuert, wie das Produktionsteam es vorgibt. Gedanken und Gefühle, der Ausstoß von Adrenalin und anderen Hormonen im Organismus des Zuschauers werden von fremden Erwägungen geleitet, von einem Bildproduzenten diktiert. Und natürlich nimmt ein Typ-1-Subjekt den Moment, da es vom Typ-2-Subjekt verdrängt wird, nicht wahr, es ist ja im nächsten schon nicht mehr da, nicht mehr real.
»Nicht real« zu sein ist etwas, was sich im Grunde über die ganze menschliche Welt sagen ließe. In unserem Fall ist der Grad der Nichtrealität mit Worten nicht zu beschreiben. Es ist die Stapelung zweier Nichtexistenzen, es ist ein Luftschloß, das auf einem Abgrund ruht. Die Frage könnte sich also stellen: Wozu die Nase in diese Nichtexistenzen stecken, den Grad ihrer Nichtrealität gegeneinander abwägen? Doch nein: Der Unterschied zwischen Subjekten erster und zweiter Ordnung ist wesentlich.
Ein Typ-1-Subjekt glaubt, die Realität bestünde aus Materie. Ein Typ-2-Subjekt hingegen glaubt, die Realität bestünde aus im Fernsehen gezeigter Materie.
Als Produkt einer fälschlichen Subjekt-Objekt-Teilung ist auch ein Typ-1-Subjekt illusorisch. Doch die chaotische Bewegung seiner Gedanken und Stimmungen hat immerhin einen Zuschauer – metaphorisch ließe sich sagen, ein Typ-1-Subjekt sieht fortlaufend eine Fernsehsendung über sich selbst, vergißt allmählich, daß es nur zuschaut, identifiziert sich mit dem, was es sieht.
Aus dieser Perspektive betrachtet, ist ein Typ-2-Subjekt etwas wirklich Unerhörtes und Unbeschreibliches. Es ist eine Fernsehsendung, die eine andere Fernsehsendung sieht. Gefühle und Gedanken sind an
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