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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Willen nicht gebrauchen. Er spähte nach den Ladenschildern auf der anderen Seite der Twerskaja – und war baff. Das war nun wirklich starker Tobak: Von einer Fassade direkt an der Ecke zum Ring leuchtete ein weißes Schild herüber, auf dem – eindeutig trotz des schrägen Winkels – das Wort ISCHTAR zu lesen war.
    Ein, höchstens zwei Minuten später stand er leicht schnaufend vor dem Eingang des winzigen Lädchens. Ein Provisorium, das noch die Zeichen der übereilten Eröffnung in einer vormaligen Imbißstube und schon das nahende Ende erkennen ließ: Ein Plakat im Fenster verkündete Preissenkungen von 50 %.
    Das Ladeninnere, dessen Enge sich durch die Wandspiegel nur verdoppelte, barg einige lange Kleiderstangen mit diversen Jeans sowie ein langes Schuhregal, das hauptsächlich mit Turnschuhen bestückt war. Tatarski – ganz der Lermontowsche Dämon – maß all die Pracht von Leder und Gummi mit einem gelangweilten Blick, seine hohe Stirn zeigte keine Regung. Nichts, gar nichts gab Anlaß zu vermuten, daß man hier nicht betrogen wurde wie überall. Zehn Jahre war es her, daß ein neues Paar Turnschuhe, das ihm entfernte Verwandte von hinter den sieben Bergen mitgebracht hatten, zum Ausgangspunkt einer neuen Ära in seinem Leben geworden war: Die Zeichnung auf der Sohle war ihm vorgekommen wie die Linien auf einer Hand, an denen sich die Zukunft für mindestens ein Jahr prophezeien ließ. Das Glücksgefühl, das eine solche Neuerwerbung damals hervorrief, war riesig. Wollte man heute ein ähnlich starkes Gefühl haben, mußte man sich einen Jeep leisten, wenn nicht ein Haus. Dafür hatte Tatarski nicht das Geld, es war in absehbarer Zeit auch nicht zu erwarten. Turnschuhe hätte er sich kaufen können, womöglich eine ganze Waggonladung, doch das machte die Seele nicht froh. Tatarski stand, die Stirn in Falten gelegt, eine Weile da und suchte sich zu erinnern, welche fachsprachliche Bezeichnung es für dieses Phänomen gab; als es ihm einfiel, holte er sein Büchlein hervor, schlug es auf unter I, wo die Kategorie Immobilien zu finden war, und schrieb flüchtig hinein:
    Glück inflationiert! Man muß heute für die gleiche Menge mehr bezahlen als früher. Diesen Gedanken in der Immobilienwerbung verwenden:
    Damen und Herren!
Hinter diesen Wänden wird Sie niemals eine
KOGNITIVE DISSONANZ ereilen!
(Darum müssen Sie auch gar nicht wissen, was das ist.)
    »Kann ich Ihnen helfen?« sprach die junge Verkäuferin ihn an.
    Tatarski tat eine beschwichtigende Geste, blätterte zur letzten Seite, wo er eintrug, was in keine Kategorie paßte, und schrieb:
    Spot für Charterflüge und Butterfahrten nach Istanbul. Fürst Oleg der Weise: erster Schnäppchenjäger in der russischen Geschichte, außerdem Mafioso (Chasaren ausgeschaltet). Bildlösung: Fürst Oleg und die todbringende Schlange. Sprechblase Oleg: »Nicht lieber ein Schnäppchen in Konstantinopel?« Slogan:
    Das hat in Rußland Tradition.
    Variante:
    Back To The East.
    »Was suchen Sie denn?«
    Die junge Verkäuferin ließ nicht locker. Daß da ein Kunde in ihrem Laden stand und etwas in ein Büchlein schrieb, behagte ihr überhaupt nicht, denn so etwas konnte immer mit einer Heimsuchung enden – beispielsweise in Form einer Inspektion.
    »Ich bräuchte Schuhe«, erwiderte Tatarski höflich lächelnd, »leichte, für den Sommer.«
    »Halbschuhe? Turnschuhe? Leder oder Textil?«
    »Textil? Au ja!« sagte Tatarski. »So was habe ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen.«
    Das Mädchen führte ihn zum Regal.
    »Da!« bedeutete sie ihm. »Mit Plateausohle.«
    Tatarski nahm einen der hohen weißen Schuhe in die Hand.
    »Und was ist das für eine Marke?«
    »No Name«, sagte das Mädchen. »Eine englische.«
    »Ja, wie denn nun?« fragte Tatarski irritiert.
    Das Mädchen drehte den Schuh um, und er sah an der Sohle einen Gummibutton mit der Aufschrift NO NAME.
    »Haben Sie Größe dreiundvierzig?« fragte Tatarski.
    Er verließ den Laden mit neuen Turnschuhen an den Füßen – die alten Halbschuhe steckten in einer Plastiktüte. Inzwischen war er sich sicher, daß sein heutiger Weg nicht vom Zufall geleitet sein konnte; er hatte darum große Angst, einen Fehler zu machen und die falsche Richtung einzuschlagen. Nach einigem Zögern lief er langsam die Sadowaja hinunter.
    Etwa fünfzig Meter weiter kam er an einen Zigarettenkiosk. In der Auslage bemerkte er ein überraschend großes Sortiment an Kondomen, wie man es eher in einer Apotheke erwartet hätte. Aus all

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