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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Gelassenheit seine Bewegungen auf einmal ausstrahlten. Zu Anfang hatte Tatarski an das Stanislawski-System gedacht – doch schnell wurde klar, daß Arkadi einfach Mühe hatte, auf dem wenige Handbreit schmalen Fleckchen dort oben die Balance zu halten und nicht abzustürzen. Jetzt löste Arkadi sich aus der Umarmung und ließ seinem unsichtbaren Begleiter mit generöser Geste den Vortritt auf die Rutschbahn, tat dann einen Schritt hinterdrein, kippte über den hölzernen Grat und stürzte auf unbeschreibliche Weise in die Tiefe. Im Fallen überschlug er sich zweimal, und wäre nicht die Hängematte gewesen, die seinen schweren Körper auffing, hätte es ohne Knochenbrüche nicht abgehen können. So, wie er in die Matte geplumpst war, blieb er liegen, die Hände um den Kopf gelegt. Währenddessen umstanden die Ingenieure den Monitor, wisperten und schienen sich nicht einig.
    »Was wird das, wenn es fertig ist?«
    Morkowin reichte ihm wortlos ein Photo, das er vom Bierholen mitgebracht hatte. Zu sehen war einer der Kremlsäle mit den typischen Malachitsäulen; der Blick ging über eine breite Marmortreppe mit rotem Teppichläufer.
    »Ich verstehe eines nicht: Wenn er virtuell ist, wieso muß er dann besoffen sein?«
    »Wegen der Beliebtheitsskala.«
    »Du willst doch nicht sagen, daß das seine Beliebtheit steigert?«
    »Seine doch nicht. Wen interessiert die. Nein, die vom Sender. Es geht um Einschaltquoten. Was glaubst du, weshalb die Minute Prime Time zwischen den Nachrichten vierzigtausend kostet?«
    »Das ist mir klar. Aber sag mal. . . Ist er denn schon lange weg vom Fenster – der richtige, meine ich?«
    »Seit dem Wahlkampfauftritt in Rostow. Als er beim Tanzen von der Bühne fiel. Wir mußten ihn auf der Intensivstation digitalisieren. Du kannst dich doch bestimmt an die Bypass-Operation erinnern. Probleme ohne Ende. Im letzten Durchgang haben alle unter Gasmaske arbeiten müssen. Seitdem bevorzugen wir die Furniervariante.«
    »Und wie entsteht das Gesicht?« wollte Tatarski wissen. »Mimik, Gestik?«
    »Auf dieselbe Weise. Nur ein anderes System, nicht magnetisch, sondern optisch. Adaptive Optics. Für die Hände gibt es die CyberGlove-Handschuhe. Die zwei Finger haben wir einfach abgeschnitten, ging prima.«
    »He, Männer«, rief einer der Ingenieure, »könntet ihr ein bißchen leiser sein? Arkadi muß gleich noch mal ran, er braucht seine Ruhe.«
    »Was?« fragte Arkadi aus der Hängematte und richtete sich halb auf. »Ihr habt sie wohl nicht alle?«
    »Gehen wir«, sagte Morkowin.
    Der nächste Raum, in den Tatarski geführt wurde, hieß Virtuelles Studio. Dem Namen zum Trotz gab es hier die echten Kameras und Scheinwerfer, die er zuvor vermißt hatte – sie sorgten für angenehme Wärme. Das Studio war nur ein größeres Zimmer, Wände und Fußboden grün. Man war dabei, einige Komparsen in modischem Farmer-Outfit zu filmen. Sie wandelten durch den kahlen Raum, ließen gelegentlich ein versonnenes Nicken sehen, einer drehte eine reife Weizenähre zwischen den Fingern. Wie Morkowin erklärte, sollten das prosperierende Mittelbauern sein, die auf Kodak zu filmen billiger kam, als sie zu animieren.
    »Wir sagen ihnen, wo sie ungefähr hingucken und wann sie was fragen sollen. Hinterher lassen sich beliebige VIPs einstanzen. Hast du Starship troopers gesehen? Wo die kosmische Eingreiftruppe gegen die Käfer kämpft?«
    »Ja.«
    »Dasselbe Prinzip. Anstelle der Eingreiftruppe Farmer oder Kleingewerbetreibende, anstelle der Pump-Guns Brot und Salz und anstelle der Käfer Sjuganow, Lebed und Genossen. Wir ziehen die Erlöser-Kathedrale oder das Baikonur-Kosmodrom dahinter, schneiden es um auf Betacam – und ab durch den Äther. Laß uns noch im Geräteraum vorbeischauen.«
    Der Geräteraum, der sich hinter einer Tür mit der lustigen Aufschrift Maschinensaal verbarg, machte wenig her. Eindruck schindeten allenfalls die zwei bewaffneten Wächter, die vor der Tür standen. Drinnen herrschte Langeweile: knarrendes Parkett und verstaubte grüne Gladiolenmustertapeten, die sich unzweifelhaft noch sowjetischer Zeiten erinnerten. Es gab keinerlei Mobiliar; an der einen Wand hing das berühmte Farbphoto mit Juri Gagarin und der Friedenstaube in seinen Händen, längs der anderen reihten sich Metallgestelle – darin eine Vielzahl einförmiger blauer Kästen mit dem schneeflockenähnlichen Signet von Silicon Graphics als einziger Zierde. Äußerlich unterschieden sich die Kästen kaum von jenem, den er einst bei

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