Generation P
Gescheites ein. Bildauflösung, Pixelmenge, special effects – da sind sie unschlagbar. Aber den Geist hat dieses Land nicht gepachtet. Die Kreativen in der Politik der USA sind das Letzte. Immer bloß zwei Präsidentschaftskandidaten, und beide haben dieselbe Kreativ-Abteilung. Wo sowieso nur die arbeiten, die in der Madison Avenue nicht den Fuß in die Tür gekriegt haben, denn für die Politik ist bei denen kaum Geld da. Ich hab mir letztens noch mal das Wahlkampfmaterial kommen lassen – ein einziges Grauen. Wenn der eine von der Brücke in die Zukunft redet, kannst du drauf warten, daß der andere zwei Tage später von der Brücke in die Vergangenheit faselt. Für Bob Dole haben sie nur den Nike-Slogan umgedreht – statt Just do it heißt es Just don’t do it. Sich etwas Positives auszudenken, sind sie einfach nicht in der Lage, ein Blow Job im Oral Office ist schon das höchste der Gefühle. Nein, da sind unsere Jungs zehnmal besser. Guck dir an, was für plastische Charaktere sie bauen. Nimm Jelzin. Sjuganow. Lebed. Das ist Tschechow pur: Drei Schwesternl So was müßte jedem das Maul stopfen, der behauptet, Rußland hätte keine eigenen Marken. Wir haben hier Talente, mit denen brauchen wir uns nirgends zu schämen. Guck dir zum Beispiel den an. Ist das nichts?«
Er deutete auf das Gagarin-Poster. Tatarski schaute richtig hin und erkannte, daß nicht Gagarin abgebildet war, sondern General Lebed in Paradeuniform – und in seinen Händen saß keine Taube, sondern ein weißes Kaninchen mit hängenden Ohren. Das Photo kam seinem Prototyp derart nahe, daß man einer optischen Täuschung erlag und das Kaninchen in Lebeds Händen im ersten Moment für eine gemästete Taube hielt.
»Hat ein Amateur fabriziert, war früher Bergmann«, sagte Morkowin. »Fürs Playboy-Cover. Die Headline war: Rußland wird fett und schön. Genau das Richtige für die unterversorgte Provinz. Früher hat der Typ auch nur jeden zweiten Tag was zu futtern gehabt, jetzt ist er einer unserer Top-Kreativen. Obwohl sich in seinen Kladden immer noch bißchen zu viel ums Essen dreht. Weißt du noch, von der Achmatowa die schöne Zeile: Und wenn ihr wüßtet, ach, aus welchem Unrat / die Verse sprießen ohne Scham. . .«
»Stopp mal«, sagte Tatarski. »Mir ist da eine Idee gekommen. Muß ich aufschreiben.«
Er holte das Büchlein aus der Tasche.
Silicon Graphics – neues Signet für den russischen Markt (Schneeflocken-Ersatz). Umriß einer silikongespritzten Riesentitte (mit Graphik-Effekt: Federzeichnung o. ä.) Im bewegten Bild: Aus der Drüse kriecht ein Silikonwurm (à la Species II) und krümmt sich zum Dollarzeichen. Überdenken.
»Einfälle sind besser als Ausfälle«, kommentierte Morkowin. »Man könnte glatt neidisch werden. Na gut, der Betriebsrundgang ist beendet. Gehen wir zurück in die Kantine.«
Die Kantine war nach wie vor leer. Der Fernseher lief ohne Ton, auf dem Tisch stand die halbvolle Flasche Smirnoff Citrus Twist. Morkowin füllte die Gläser, stieß wortlos mit Tatarski an und trank. Der Rundgang hatte in Tatarski eine gewisse Unruhe geweckt.
»Hör mal«, sagte er. »Da ist noch etwas, das ich nicht verstehe. Gesetzt den Fall, sie kriegen alle ihre Texte geschrieben. Aber wer ist für den Inhalt verantwortlich? Wer bestimmt die Themen, und wer sagt, welche Richtung die Politik von morgen einschlagen soll?«
»Big Busineß«, erwiderte Morkowin trocken. »Schon mal was von den Oligarchen gehört?«
»Na klar. Aber wie hat man sich das vorzustellen? Versammeln die sich und treffen Absprachen? Oder gehen die Konzeptionen als Rundbrief raus?«
Morkowin klemmte den Mittelfinger in den Hals der Flasche, schüttelte sie und beobachtete die Bläschen – etwas an diesem Schauspiel schien ihn zu fesseln. Tatarski wartete schweigend.
»Das wäre nicht leicht für die, sich zu versammeln«, kam endlich die Antwort. »Wenn sie doch allesamt Bildschirmprodukte sind. Den Beresowski hast du eben selbst gesehen.«
»Hm«, sagte Tatarski nachdenklich. »Stimmt natürlich. Und wer textet für die Oligarchen?«
»Texter wie du und ich. Alles die gleiche Geschichte, bloß auf einer anderen Etage.«
»Aha. Und woher nehmen wir, was die Oligarchen beschließen sollen?«
»Das entscheidet die politische Lage. Kreative Freiheit – das ist ja doch nur ein Spruch. Im Grunde gibt es wenig Spielraum. Überall eiserne Zwänge. Für die einen wie für die anderen. Von uns beiden ganz zu schweigen.«
»Oligarchen gibt es also
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