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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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auch keine. Wozu haben wir dann unten das Schild hängen: Bankenaufsichtskomitee?«
    »Das hängt da nur, damit die Polizei nicht auf die Idee kommt, ihre Wachen abzuziehen. Außerdem sind wir ja das Bankenaufsichtskomitee, genauso wie wir die Komiteeaufsichtsbank sind. Und der Oberaufsichtsrat. Kannst du mal sehen!«
    »Ach so«, sagte Tatarski. »Langsam blicke ich durch, glaube ich. Das heißt, naja . . .Warte mal. X wird definiert von Y, und Y wird definiert von . . . von X. Aber wie soll . . .Ja, sag mal. Worauf stützt sich dann das große Ganze?«
    Das letzte Wort war noch nicht zu Ende gesprochen, da schrie Tatarski auf vor Schmerz. Morkowin hatte ihn ins Handgelenk gezwickt – so kräftig, daß er ein Fetzchen Haut zwischen den Fingern behielt.
    »Darüber«, sagte er, während er sich über den Tisch beugte und Tatarski mit verhangenem Blick in die Augen sah, »darfst du nie, nie nachdenken. Wirklich niemals, hörst du?«
    »Wie kann man das verhindern?« fragte Tatarski, dem so war, als hätte der eben gespürte Schmerz ihn vom Rand eines tiefen und gefährlichen Abgrunds zurückgerissen.
    »Man kann sich diese Technik aneignen«, sagte Morkowin. »Wenn du merkst, gleich will sich der verbotene Gedanke breitmachen, zwickst oder stichst du dich in den Arm oder das Bein – da, wo es weh tut. So wie der Schwimmer sich die Nadel in die Wade sticht, wenn er einen Krampf hat. Damit er nicht ertrinkt. Mit der Zeit wächst dir rings um den Gedanken Hornhaut, und es macht keine Mühe mehr, ihn links liegenzulassen. Du spürst, es gibt ihn, aber du denkst ihn einfach nicht. Und gewöhnst dich daran. Die achte Etage stützt sich auf die siebte, die siebte stützt sich auf die achte, und überall, an jedem konkreten Punkt in Raum und Zeit herrscht ein Mindestmaß an Stabilität. Du hast genug am Hals. Du hast Koks in der Nase. Du hast den lieben langen Tag handfeste Fragen zu entscheiden, und das im Laufschritt. Da bleibt für abstrakte gar keine Zeit.«
    Tatarski kippte sich in den Schlund, was er noch im Glas hatte, dann kniff er sich mehrere Male hintereinander in den Oberschenkel. Morkowin setzte ein leidvolles Grinsen auf.
    »Nimm Asadowski«, sagte er. »Warum bringt der die Leute hier so auf Trab? Weil es ihm im Traum nicht einfällt, daß an der ganzen Sache was faul sein könnte. Einer wie der wird nur aller hundert Jahre geboren. Der Mann hat ein Lebensgefühl von internationalem Rang, das muß man ihm lassen.«
    »Gut und schön«, sagte Tatarski und mußte sich schon wieder ins Bein kneifen, »aber die Leute auf Trab zu bringen kann ja nicht alles sein – es muß doch auch Regeln geben. Die Gesellschaft ist ein kompliziertes Gebilde. Man braucht zu ihrer Regulierung gewisse Prinzipien, oder nicht?«
    »Es gibt ein Prinzip, und das ist simpel«, sagte Morkowin. »Es ist der Monetarismus. Damit alles wie am Schnürchen läuft, muß das vorhandene Bruttokapital reguliert werden. Dann geht alles übrige automatisch seinen Gang. Man darf sich da überhaupt nicht einmischen.«
    »Und wie wird dieses Bruttokapital reguliert?«
    »Durch Maximierung.«
    »Das soll alles sein?«
    »Was dachtest du? Wenn man viel Geld hat, heißt das: Alles geht seinen Gang.«
    »Ja«, sagte Tatarski, »logisch. Und trotzdem. Irgendwer muß doch bei alledem die oberste Instanz sein?«
    »Ich glaube, du willst zuviel auf einmal verstehen«, sagte Morkowin mürrisch. »Wart‘s ab, sag ich dir. Das, mein Lieber, ist nämlich ein Problem – herauszukriegen, wer die oberste Instanz ist. Einstweilen nur so viel: Es ist bestimmt kein Er und keine Sie, sondern ein Es. Gewisse Faktoren und Impulse regieren die Welt, von denen du noch früh genug erfährst, Babi. Und von denen du schon früh genug erfahren hast. Paradox, aber wahr.«
    Morkowin verstummte und hing seinen Gedanken nach. Tatarski rauchte, auch er hatte keine Lust mehr zu reden. Inzwischen war in der Kantine ein weiterer Gast aufgetaucht, den Tatarski sofort erkannte: Es war der populäre TV-Kommentator Varsuk Z. Valasnam. Er sah weit älter aus als im Fernsehen, aus dem er wahrscheinlich gerade kam: Der Schweiß perlte ihm in großen Tropfen von der Stirn, der berühmte Kneifer saß irgendwie recht schief auf der Nase. Tatarski hatte damit gerechnet, daß Valasnam sich geradewegs zum Tresen begeben und Wodka in sich hineinschütten würde, doch er kam zu ihnen an den Tisch.
    »Dürfte ich mal eben den Ton anstellen?« fragte er und wies zum Fernseher. »Den Spot hat mein

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