Generation Wodka
Alkohol jeden Tag zu beklagen sind, haben bisher am Verhalten der Politik kaum etwas verändert.
Konkrete Verbesserungsvorschläge haben wir im Kapitel âWas jetzt zu tun istâ zusammengefasst. Angesichts der Lebenssituation der âGeneration Wodkaâ fragen wir uns: Was muss noch passieren, damit der Bundestag und die Landesparlamente endlich eingreifen?
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Julian â Saufgelage in der Oberschicht
Julian saÃ, die Kopfhörer in den Ohrmuscheln versenkt, eine halb volle Flasche lauwarmes Bier in der Hand, in dem schaukelnden Bus über die Dörfer auf dem Weg zu einer Party. Der gelangweilte Blick des 14-Jährigen lag völlig abwesend auf den grauen Feldern, die langsam an den Fenstern vorbeizogen. Hier und da lagen noch dreckige Schneereste auf den Feldwegen. Die StraÃen waren in einem schlechten Zustand, und die StöÃe, verursacht durch die zahlreichen Schlaglöcher und Flickstellen, lieÃen das restliche Bier in der Flasche hin und her schaukeln und entlockten dem Inhalt die letzte Kohlensäure.
Der Bus verlangsamte seine Fahrt, um an einer entlegenen Haltestelle einen weiteren Fahrgast aufzunehmen. Ein Mann mittleren Alters, einfach gekleidet, stieg ein, seinen altersschwachen, verfilzten Mischlingshund hinter sich herziehend. Beide nahmen zwei Reihen vor Julian Platz, der nur vage Notiz von dem Fahrgast und seinem Vierbeiner nahm. Seine einzige Bewegung war ein kurzer Schluck aus der Flasche mit dem schalen Bier. Es schmeckte scheuÃlich, aber das war ihm vollkommen gleichgültig. Der Geschmack war ihm schon lange vertraut.
Wenn er nachmittags mit seinen Kumpels in dem Wartehäuschen an der HauptstraÃe herumlungerte, tranken sie regelmäÃig einige Biere, aus Kostengründen selten mal was anderes. Auch würden seine Eltern eine übermäÃige Alkoholfahne sicherlich nicht tolerieren. Der Biergeruch war dank Fruchtbonbons und stark aromatisierter Kaugummis gut in den Griff zu bekommen.
Es gab in der Gegend, in der er mit seinen Eltern und seinen zwei jüngeren Geschwistern lebte, nichts, was das Leben aus seiner Sicht interessant machte. Waren keine Kumpels anzutreffen, verstrichen die Nachmittage vor dem Computer. Hin und wieder wurde er von seinem 5 Jahre jüngeren Bruder oder der 4-jährigen Schwester unterbrochen mit der Frage, ob er mit ihnen spielen würde. Nur selten konnte er sich mit seinen 14 Jahren dafür begeistern, mit ihnen herumzutollen, meist hatte er einfach keinen Bock oder keine Zeit.
Die Eltern gingen arbeiten, um das alte Haus abzubezahlen und den Lebensunterhalt für die Familie heranzuschaffen. Das Leben wirkte auf den Jugendlichen eintönig und Highlights wie Urlaube oder Wochenendausflüge waren selten genug.
Die Kindergeburtstage wurden zwar gefeiert, doch meist ohne groÃes Aufsehen und Geschenke. Bei den jüngeren Geschwistern gaben sich die Eltern noch ein bisschen mehr Mühe, aber auch das wurde mit zunehmendem Alter der Kinder weniger. Die Wohnung erhielt keinen Geburtstagsschmuck mehr, Verwandte kamen nur in Form der Oma, und das meist ein Wochenende später. Dafür ging es dann mit den kleinen Gästen zu McDonaldâs. Das war praktisch und lag kostenmäÃig im Rahmen, fanden die Eltern.
Zu seinem letzten Geburtstag war Julian gemeinsam mit seinem Vater und einigen Freunden seiner Klasse zum Bowlen gegangen. Das war eigentlich ganz cool gewesen. Der eine oder andere meckerte zwar hinter vorgehaltener Hand über die fehlenden Getränke, aber eigentlich hatte das der Stimmung keinen Abbruch getan. Es ging eben nicht, in Anwesenheit von Erwachsenen Alkohol zu trinken. So hatte Julian es auch gelernt. Seine Eltern wollten das nicht, zumal das Jugendschutzgesetz den Konsum von Alkohol in seinem Alter untersagte.
***
Der Bus kam ruckend im Wendekreis eines AuÃenbezirks von Berlin zum Stehen â Endstation. Langsam erhob sich Julian. Der Mann mit dem Hund war bereits ausgestiegen und bummelte langsam zur benachbarten StraÃenbahnhaltestelle. Am Kiosk gegenüber war wenig Betrieb; drei Männer, denen das Leben offenbar schon einiges an traurigen Erfahrungen mitgegeben hatte, standen an einen speckigen Stehtisch gelehnt und tranken Bier. Auf dem Tisch standen einige leere kleinere Schnapsflaschen.
Julian stieg aus und streckte sich, dann machte er sich zügigen Schrittes auf den Weg zu Steven. Die Bierflasche hatte er achtlos an seinem Sitzplatz stehen
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