Genesis Secret
Tal zu finden wäre.
»Hier«, sagte sie an einer Abzweigung sehr bestimmt. Sie bogen rechts ab und rumpelten eine halbe Stunde über unbefestigte Wege. Und dann kamen sie über eine Kuppe. Die zwei Autos hielten an, und alle stiegen aus: Die Kurden waren schmutzig, verschwitzt und wirkten nicht sehr arbeitswillig. Gemeinsam luden sie die Schaufeln aus und warfen Kellen, Seile und Rucksäcke in den Sand.
Links von ihnen lag ein karges, enges Tal.
»Das muss es sein«, sagte Christine. »Das Tal des Mordens. Es heißt immer noch so. Unter diesem Namen ist es sogar in der Karte eingezeichnet.«
Rob sah sich um und lauschte. Er konnte absolut nichts hören. Nichts als den klagenden Wüstenwind. Über der Stätte - über der ganzen Gegend - lag eine seltsame Stille, wie sie selbst für die Wüste um Göbekli ungewöhnlich war.
»Lebt hier denn überhaupt niemand mehr?«, fragte er.
»Nein, die Menschen sind alle weg«, antwortete Christine. »Evakuiert. Von Staats wegen umgesiedelt.«
»Häh?«
»Deswegen.« Sie deutete nach links, auf eine riesige Fläche, die in der Ferne silbrig schimmerte. »Das ist das Wasser des Südostanatolien-Projekts. Der Euphrat. Zu Bewässerungszwecken fluten sie die gesamte Region. Mehrere bedeutende archäologische Stätten wurden bereits überschwemmt - das Projekt ist höchst umstritten.«
»Du lieber Himmel - das Wasser ist ja nur ein paar Kilometer entfernt!«
»Und es kommt in unsere Richtung. Aber dieser Damm wird es aufhalten.« Christine deutete auf einen Hügel und runzelte die Stirn. Ihr weißes Hemd war mit gelbem Staub besprenkelt. »Trotzdem ist Vorsicht geboten: Diese Überflutungen erfolgen manchmal sehr rasch. Und unvorhergesehen.«
»Beeilen müssen wir uns sowieso«, sagte Rob.
Sie drehten sich um und stiegen in das Tal hinab. Wenige Minuten später hatte Christine den Kurden Anweisungen erteilt, und sie begannen zu graben. Erst jetzt wurde Rob das wahre Ausmaß ihres Vorhabens bewusst. Das Tal war knapp zwei Kilometer lang. In zwei Tagen könnten sie höchstens einen Bruchteil davon aufgraben. Vielleicht zwanzig Prozent. Bestenfalls dreißig. Und nicht sehr tief.
Folglich brauchten sie Glück, um etwas zu finden. Zu der bedrückten Stimmung und Angst gesellte sich wachsender Überdruss. Eine Woge der Frustration drohte ihn mit sich zu reißen. Lizzie würde sterben. Sie würde sterben. Und Rob kam sich absolut hilflos vor. Er hatte das Gefühl, in der Vergeblichkeit seines Vorhabens zu ertrinken, verschluckt zu werden wie das durstige Land ringsum, das nur darauf wartete, dass sich der gewaltige silberne Sargdeckel aus Wasser über ihm schloss. Das Südostanatolien-Projekt.
Aber er wusste, er durfte jetzt nicht aufgeben; er musste die Sache bis zum Ende durchziehen. Deshalb versuchte er, sich selbst Mut zu machen. Er rief sich in Erinnerung, was Breitner über Christine gesagt hatte: dass sie »eine der besten Archäologinnen ihrer Generation« war. Er rief sich in Erinnerung, dass die große Isobel Previn in Cambridge Christines Lehrerin gewesen war. Und Christine schien in der Tat zuversichtlich: Sie wies die Männer ruhig, aber bestimmt an, wo sie graben sollten, schickte sie hierhin und dorthin, das Tal hinauf und hinunter. Ein, zwei Stunden lang stieg dichter Staub auf und legte sich wieder. Geräuschvoll gruben sich die Schaufeln in den sandigen Untergrund. Durch das Mordtal pfiff ein heißer, freudloser Wind.
Und dann ließ ein Mann seine Schaufel fallen. Es war Radevans Cousin Mumtaz.
»Miss Meyer!«, rief er. »Miss Meyer!«
Sie lief zu ihm; Rob folgte ihr.
In der staubigen Erde lag ein weißes Knochenstück. Es war die Wölbung eines Schädels: klein, aber menschlich. Das konnte sogar Rob erkennen. Christine schien durchaus angetan, aber nicht begeistert. Sie nickte.
»Okay, gut. Jetzt graben wir lateral.«
Das verstanden die Kurden nicht. Christine erklärte es Radevan noch einmal auf Kurdisch: Graben Sie quer durch das Tal. Und Sie brauchen nicht tief zu graben. Jetzt ging es darum, eine möglichst große Fläche freizulegen. Sie hatten nicht einmal mehr zwei Tage Zeit.
Offensichtlich beeindruckt von Christines Entschlossenheit, kamen die Männer ihrer Aufforderung nach. Auch Rob begann zu schaufeln. Jetzt entdeckten sie fast minütlich einen neuen Schädel. Mit fieberhaftem Eifer half Rob den Kurden, die Erde wegzuscharren. Wieder ein Schädel; wieder ein Skelett. Inzwischen machten sie sich, wenn sie auf die Überreste einer neuen Leiche
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