Genesis Secret
Zelte abzubrechen und weiterzuziehen.
Vor dem Hotel lehnte Radevan an seinem Taxi und diskutierte wie immer mit den anderen Fahrern über Fußball oder Politik. Als Rob nach draußen in die Sonne kam, schaute er auf und lächelte. Rob nickte. Sie hatten längst ihr eigenes Ritual.
»Ich möchte zu dem schlimmen Ort hinausfahren.«
Radevan lachte.
»Zum schlimmen Ort? Ja, Mister Rob.«
Radevan zog die Chauffeurnummer ab, öffnete die Autotür, und Rob stieg resolut und schwungvoll ein. Er hatte die richtige Entscheidung getroffen. Artikel schreiben, Spesen ausweisen - dann zurück nach England und auf viel Zeit mit seiner Tochter bestehen.
Die Fahrt nach Göbekli verlief ohne besondere Vorkommnisse. Radevan bohrte in der Nase und beschwerte sich lautstark über die Türken. Rob blickte über die Ödnis in Richtung Euphrat und zum blauen Taurusgebirge dahinter. Er hatte die Wüste zu schätzen gelernt, auch wenn sie ihm auf die Nerven ging. So alt, so abgekämpft, so böswillig, so karg. Die Wüste der Winddämonen. Was verbarg sich sonst noch unter ihren flachen Hügeln? Ein seltsamer Gedanke.
Sie waren rasch da. Unter lautem Quietschen seiner abgefahrenen Reifen hielt Radevan an. Er beugte sich aus dem Fenster, als Rob auf die Grabung zuging. »Drei Stunden, Mister Rob?«
Rob lachte. »Okay.«
An diesem Tag ging es auf dem Gelände hektischer zu als sonst.
Neue Gräben wurden gezogen. Tiefe Rinnen in den Hügeln, die noch mehr steinerne Pfeiler zum Vorschein brachten. Rob wusste, dass die Grabungssaison zu Ende ging und Breitner am liebsten ohne Pause weitergemacht hätte. So eine Saison war erstaunlich kurz - im Sommer war es zu heiß, im Winter war die Stätte zu ungeschützt. Außerdem schienen die Wissenschaftler ohnehin neun Monate für Deutung und Laboruntersuchungen zu brauchen, um auszuwerten, was sie in drei Monaten bei ihren Grabungen gefunden hatten. Das war das archäologische Jahr: drei Monate schaufeln, neun Monate nachdenken. Eigentlich ganz einfach.
Franz Breitner, Christine und Iwan, der Paläobotaniker, waren unter einem der Zeltunterstände in eine Diskussion vertieft. Sie winkten Rob zur Begrüßung zu. Er setzte sich zu ihnen, und frischer Tee wurde serviert. Rob hatte die nie abreißende Zubereitung von türkischem Tee zu schätzen gelernt, das rituelle Klimpern von Löffeln in tulpenförmigen Gläsern, den Geschmack des süßen dunklen Getränks. Außerdem hatte der heiße schwarze Tee in der trockenen Wüstensonne seltsamerweise eine erfrischende Wirkung.
Beim ersten Glas Tee erzählte ihnen Rob, dass er seine Recherchen zum Abschluss bringen wolle und dies sein letzter Besuch auf der Grabung sei. Er achtete dabei sehr genau auf Christines Reaktion. War da ein Flackern des Bedauerns zu erkennen gewesen? Vielleicht. Sein Herz machte einen kleinen Satz. Doch dann konzentrierte er sich wieder auf seinen Job. Er musste noch ein paar Fragen stellen, seine allerletzten Recherchen. Deswegen war er hier. Nur deswegen.
Der Journalist in ihm wollte die Grabung im Gesamtkontext darstellen. Er hatte ein paar weitere historische - genauer: prähistorische - Werke gelesen und wollte Göbekli Tepe irgendwo in diesem geschichtlichen Zusammenhang einordnen. Sehen, wie es hineinpasste, wie es sich in das Mosaik der gesamten Menschheitsgeschichte einfügte - in die Evolution von Menschheit und Zivilisation.
Franz Breitner kam seiner Bitte nur zu gern nach. »Hier, in dieser Region«, er deutete mit einer Armbewegung auf die gelben Hügel hinter den offenen Zelten, »hat alles begonnen. Die menschliche Zivilisation. Die erste Schrift ist die Keilschrift, und auch sie ist nicht weit von hier entstanden. Das Verfahren zum Schmelzen von Kupfer, es wurde in Mesopotamien entwickelt. Und die ersten richtigen Städte wurden in der Türkei gebaut. Isobel Previn könnte Ihnen alles darüber erzählen.«
Zuerst wusste Rob nicht, wen Breitner meinte. Doch dann erinnerte er sich wieder - Christines Lehrerin in Cambridge. Isobel Previn. Auch in der Fachliteratur war Rob mehrmals auf ihren Namen gestoßen. Previn hatte mit dem großen James Mellaart zusammengearbeitet, dem englischen Archäologen, der Catalhöyük ausgegraben hatte. Rob hatte mit Begeisterung über diese Grabung gelesen, nicht zuletzt deshalb, weil sie in einem enormen Tempo erfolgt war. Schon nach drei Jahren eifrigen Schaufeins hatte man fast alles freigelegt. Das war die ruhmreiche Hollywoodphase der Archäologie gewesen. Heutzutage ging man,
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