Genesis Secret
sie an diesen Steinkreisen und Ruinen so unwiderstehlich an? Wozu das Ganze?«
Forrester brummte. Das war eine gute Frage. Eine Frage, die es zu beantworten galt. Unten im Flusstal, hinter dem Hochplateau von Castlerigg, konnte er die Streifenwagen der Polizei von Cumbria sehen; vier von ihnen standen auf einem Picknickplatz in der Sonne, zwei weitere Polizeiautos zockelten auf der schmalen Landstraße davon; sie wollten sich in den Dörfern und Gehöften der Gegend umhören, ob jemand etwas von der Bande mitbekommen hatte. Bisher hatten sie kein Glück gehabt. Absolut nichts. Trotzdem war Forrester sicher, dass die Männer in Castlerigg gewesen waren. Es passte zu gut ins Bild. Der Steinkreis war eindeutig ein Ort mit Atmosphäre. Sehr intensiv. Wer diesen hohen, einsamen Kreis inmitten seiner kahlen Wiege aus Hügeln errichtet hatte, musste ein ausgeprägtes Gespür für Ästhetik besessen haben. Vielleicht sogar für Fengshui. Wie er da auf seinem Tisch aus taunassem Gras stand, wirkte der Kreis wie ein Teil eines Amphitheaters. Einer Arena. Die gewellten Hügel stellten die ansteigenden Stufen dar, das Publikum, die Tribünenplätze. Und der Steinkreis selbst war die Bühne, der Altar, die Kulisse. Aber eine Bühne wofür?
Boijers Sprechfunkgerät knackte. Er drückte den Knopf und sprach mit einem der einheimischen Polizisten. Forrester hörte mit. Aus Boijers Miene und seinen mechanisch dankenden Worten ging hervor, dass die Polizei von Cumbria noch immer im Dunkeln tappte. Vielleicht war die Bande doch nicht hier gewesen.
Forrester ging weiter. Ein Fuchs huschte über ein Feld und schnürte an einem Gehölz entlang durch das nächste Tal; ein flüchtiger Hauch buschigen Rots. Doch plötzlich drehte sich der Fuchs um und blickte hinter sich; er sah Forrester direkt an, mit der Angst und der Grausamkeit eines wilden Tieres. Dann rannte er davon und verschwand unter den Bäumen.
Der Himmel bewölkte sich, zumindest zum Teil. Flecken aus Schwarz zogen über das hügelige Heideland.
Boijer holte Forrester ein. »Ach übrigens, Sir, wir hatten vor einigen Jahren in Finnland auch einen eigenartigen Fall. Vielleicht lassen sich daraus ein paar Rückschlüsse auf unseren ziehen.«
»Und worum ging es dabei?«
»Wir nannten ihn Müllkippenmord.«
»Weil die Leiche auf einer Müllkippe verscharrt wurde?«
»So in etwa. Es begann im Oktober 1998. Wenn ich mich recht erinnere, wurde in Hyvinkaa, einer Kleinstadt nördlich von Helsinki, auf einer Müllkippe das linke Bein eines Mannes gefunden.«
Forrester sah seinen jungen Kollegen verwirrt an. »Haben Sie damals nicht schon in England gelebt?«
»Schon, aber ich habe immer verfolgt, was zu Hause passierte. Genau wie Sie. Vor allem grausige Morde.«
Forrester nickte. »Und was passierte damals?«
»Also, zunächst tappte die Polizei völlig im Dunkeln. Der einzige Anhaltspunkt, den sie hatten, war das Bein. Doch dann gab es plötzlich … na ja, diese ganzen Schlagzeilen … Die Polizei behauptete, sie hätte drei des Mordes verdächtige Personen verhaftet, und sie sagten, es gebe Hinweise auf einen Satanskult.«
Wind kam auf. Und pfiff durch den alten Steinkreis.
»Im April 1999, als es zum Prozess kam, sorgte der Mord erneut für Schlagzeilen. Drei junge Leute standen unter Anklage. Das Eigenartige daran war, dass der Richter anordnete, die Gerichtsprotokolle vierzig Jahre lang unter Verschluss zu halten und keine Einzelheiten an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Für Finnland sehr ungewöhnlich. Aber einige Details wurden trotzdem bekannt. Richtig grauenhaft. Folter, Verstümmelung, Nekrophilie, Kannibalismus, alles, was man sich nur denken kann.«
»Und wer war das Opfer?«
»Ein Dreiundzwanzigjähriger. Er wurde von dreien seiner Freunde gefoltert und getötet. Ich glaube, sie waren alle um die zwanzig.« Boijer dachte angestrengt nach. »Das Mädchen war siebzehn - sie war die Jüngste von den dreien. Jedenfalls, zu dem Mord kam es nach einem gewaltigen Saufgelage. Mehrere Tage lang. Mit Selbstgebranntem Schnaps. Brennivin, wie sie ihn in Island nennen. Der Schwarze Tod.«
Jetzt war Forresters Interesse geweckt. »Beschreiben Sie mir den Mord.«
»Er wurde mit Messern und Scheren langsam verstümmelt. Sein Tod zog sich über mehrere Stunden hin. Sie schnitten nach und nach Stücke aus seinem Körper. Der Richter bezeichnete die Tat als ein in die Länge gezogenes Menschenopfer. Als das Opfer tot war, missbrauchten die drei Freunde die Leiche,
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