Genesis Secret
ich kann dir nicht folgen.«
»Sanliurfa hatte in seiner langen Geschichte eine Vielzahl von Namen«, führte Christine aus. »Die Kreuzritter nannten es wie die Griechen Edessa. Die Kurden nennen es Riha. Die Araber al-Ruha. Die Stadt der Propheten. Orra ist ein weiterer Name. Es ist eine Umschreibung des griechischen Namens. Edessa bedeutet also Orra.«
»Und Keller?«
»Das ist kein Name!« Christine lächelte triumphierend. »Es ist der Keller gemeint, das Gewölbe, das Depot. Franz hat es mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben, weil das im Deutschen so üblich ist. Dort werden alle Substantive großgeschrieben.«
»Ach so … langsam verstehe ich …«
»Mit >Orra Kellen meinte Franz also das Edessa-Depot. Im Keller des Urfa-Museums!«
Christine lehnte sich zurück. Rob beugte sich vor. »Das sagt uns also, dass im Edessa-Depot etwas ist. Aber wussten wir das nicht bereits?«
»Aber warum hat er es dann in sein Notizbuch geschrieben? Außer, um sich selbst daran zu erinnern? An etwas Besonderes? Und dann … weißt du, was >vgl.< bedeutet?«
»Nein, keine Ahnung.«
»Es ist die Abkürzung für >vergleiche<. Akademische Kurzschrift sozusagen. Was da steht, heißt also: Vergleiche die berühmten Cayönü-Schädel mit etwas in den Depots des Museums. Aber es gibt - oder gab - dort nichts von Bedeutung. Ich habe mich selbst in den Depots umgesehen, als ich meine Stelle hier antrat. Aber vergiss nicht«, sie hob auf schulmeisterliche Art den Finger, »Franz hat in Göbekli unmittelbar vor seiner Ermordung heimlich - und nachts - gegraben.« Ihr Gesicht war vor Aufregung und vielleicht auch Ärger ganz rot geworden.
»Und du glaubst, er hat seine nächtlichen Funde im Museum gelagert? Im präislamischen Depot?«
»Es wäre das optimale Versteck. Der verstaubteste Teil des ganzen Museums, die hinterste Ecke des Kellers. Dort wären seine Funde absolut sicher, gut versteckt und praktisch vergessen.«
»Na schön«, sagte Rob, »aber ein bisschen weit hergeholt. Nicht sehr überzeugend.«
»Schon möglich. Trotzdem…«
Jetzt begann es Rob zu dämmern. »Du wolltest Kiribali nur testen.«
»Und du hast selbst gesehen, wie er reagiert hat! Ich hatte recht. Im Keller des Museums muss etwas sein.«
Der Tee war fast kalt. Rob trank sein Glas leer und sah Christine an. Sie hatte verborgene Seiten. Eine ungeahnte Durchtriebenheit. »Und jetzt willst du hingehen und nachsehen?«
Sie nickte. »Klar, was denn sonst? Die Frage ist nur: wie reinkommen? Die Tür ist mit einem elektronischen Schloss gesichert.«
»Schon wieder ein Einbruch? Viel zu gefährlich.«
»Ich weiß.«
Der Wind säuselte in den Linden. Auf der anderen Seite der Brücke hielt eine Frau im Tschador ihr Baby im Arm und küsste seine dicken rosigen Finger, einen nach dem anderen.
»Warum willst du das alles tun, Christine? Warum dieser immense Aufwand? Alles nur wegen einer vagen Vermutung?«
»Ich will wissen, wie und warum er gestorben ist.«
»Das will ich auch. Aber ich werde dafür bezahlt. Das ist mein Job. Ich recherchiere für einen Artikel. Du gehst damit ein enormes Risiko ein.«
»Ich tue es …« Sie seufzte. »Ich tue es, weil… er es auch für mich getan hätte.«
Ein vage Gestalt annehmender Gedanke beschlich Rob. »Christine, entschuldige bitte. Aber … warst du und Franz … wart ihr…?«
»Ein Paar? Ja, waren wir.« Sie wandte sich ab, als wollte sie ihre Gefühle verbergen. »Vor ein paar Jahren. Er hat mir zum Einstieg in die Archäologie verholfen. Auf dieser unglaublichen Grabung. Göbekli Tepe. Damals gab es noch keine Knochen. Er brauchte eigentlich keinen Osteoarchäologen. Aber er lud mich ein, weil er meine Arbeit schätzte. Und ein paar Monate nachdem ich hier zu arbeiten begonnen hatte … verliebten wir uns. Doch dann ging es zu Ende. Der Altersunterschied war zu groß. Ich hatte ziemliche Schuldgefühle.«
»Warst du diejenige, die Schluss gemacht hat?«
»Ja.«
»Hat er dich immer noch geliebt?«
Christine nickte und errötete. »Ich glaube schon. Er ging so souverän und großzügig damit um. Ließ es nie unser berufliches Verhältnis beeinträchtigen. Er hätte mich bitten können, zu gehen, tat es aber nicht. Es muss sehr schwer für ihn gewesen sein, mich ständig um sich zu haben. Er war ein großartiger Archäologe, aber er war ein noch großartigerer Mensch. Einer der nettesten Männer, die mir je untergekommen sind. Als er seine Frau kennenlernte, wurde es Gott sei Dank leichter.«
»Du
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