Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder
später zerriss. Allerdings vermutete er als Ursache eine sich ausdehnende Erdkugel. Die Idee der Kontinentaldrift schien also in der Luft zu liegen, aber niemand entwickelte sie auch nur annähernd so weit und wissenschaftlich fundiert wie Wegener. Um seine Idee untermauern zu können, benötigte er weitere Forschungsergebnisse. Die erhielt er Ende 1911 aus einer Arbeit über paläontologische Gemeinsamkeiten von Brasilien und Afrika. Auch aus anderen Gebieten sammelte er akribisch Forschungsergebnisse, die er mit der Kontinentaldrift erklären konnte.
Am 6. November 1911 schrieb er Köppen: »Ich glaube doch, Du hältst meinen Urkontinent für phantastischer, als er ist,und siehst noch nicht, dass es sich lediglich um Deutung des Beobachtungsmaterials handelt … Ein Kontinent kann nicht versinken, denn er ist leichter als das, worauf er schwimmt.« 11
Köppen konnte sich indes nur schwer für diese revolutionäre Idee erwärmen und warnte Wegener vor einer Veröffentlichung. Insbesondere mutmaßte er, dass die Geophysiker, Geologen und Paläontologen dem Meteorologen Wegener als Außenseiter misstrauen würden. Mit dieser Prophezeiung sollte Köppen recht behalten.
Doch Wegener war von seiner Idee fest überzeugt und scheute die Konfrontation mit allen anderen Gelehrten nicht. Am 6. Januar 1912 kam es zu dem eingangs geschilderten denkwürdigen Vortrag im Frankfurter Senckenberg-Museum. Wenig später erschienen die zwei erwähnten Veröffentlichungen.
Ein wesentliches Element seiner Theorie war das Konzept der Isostasie. Es geht auf Messungen der Schwerkraft zurück, die Geophysiker auf der ganzen Welt ausführten. Aus den Ergebnissen hatte der britische Astronom George Airy geschlossen, dass sich unter den Gebirgen eine Basaltschicht mit höherer Dichte befindet, in der sie wie Eisberge schwimmen. Die Kontinente wurzeln gewissermaßen in der Basaltschicht. Dasselbe gilt für die Ozeanböden. Da die Gebirge aber massereicher sind als der Ozeanboden, sinken sie auch tiefer ein als dieser.
Während sich Wegener mit dem Prinzip der Isostasie auf gesichertem Grund befand, hatte er für ein anderes, damals heiß diskutiertes Thema eine der Lehrmeinung widersprechende Erklärung: die Gebirgsbildung. Eduard Suess hatte sie 1885 in seinem einflussreichen vierbändigen Werk ›Das Antlitz der Erde‹ dargelegt, diese basierte auf einem Konzept des Franzosen Elie de Beaumont aus dem Jahre 1829. Der wiederum ging davon aus, dass die Erde als heißer Glutball entstanden ist und seitdem langsam abkühlt und schrumpft. Hierbei treten in der bereits erstarrten Erdrinde immer wieder Risseund Faltungen auf, die sich zu den gewaltigen Gebirgen auftürmen. Man kann dies mit der Runzelbildung in der Schale eines vertrocknenden Apfels vergleichen. Berühmt wurde Suess’ Ausspruch: »Der Zusammenbruch des Erdballs ist es, dem wir beiwohnen«, den Wegener in seinem Vortrag auch zitierte.
Sueß galt unter Geologen als die Autorität, sein Wort war Gesetz. Wegener und wenige andere Geophysiker hegten jedoch so ihre Zweifel. So könne die Erdoberfläche nach ihrer Meinung durch das Schrumpfen nur eine »gleichmäßige Runzelung« erfahren, und das geforderte Versinken großer Kontinentalschollen sei damit gar nicht erklärbar. Außerdem geriet die Kontraktionshypothese ins Wanken, nachdem Henri Becquerel gegen Ende des 19. Jahrhunderts den radioaktiven Zerfall entdeckt hatte. Hierbei wird Strahlung frei, die das umgebende Material erwärmt. Da überall im Gestein radioaktives Material existiert, stellte Wegener die Frage, »ob die Temperatur des Erdinnern nicht im Steigen begriffen sei«. Nach seiner Theorie entstanden die Gebirge bei der Kollision von Kontinentalplatten. »So erklärt sich auf diese Weise auch das allmähliche Emportauchen der Kontinente aus den Ozeanen.« 12
Wie eingangs geschildert, konnte Wegener jedoch nicht erklären, was die Kontinente antreibt, auch wenn er mit der vagen Andeutung, dass die Verschiebungen eine Folge von zufälligen Strömungen im Erdkörper seien, nicht ganz falschlag. Am Ende seines Vortrags ging Wegener auf eine für ihn ganz entscheidende Schlussfolgerung ein, mit der sich seine Theorie überprüfen ließ. Wenn die Kontinente sich in der Vergangenheit bewegt haben, dann dürften sie dies auch heute noch tun. Und das müsste man eigentlich messen können.
Wegener machte auch gleich eine Rechnung auf. Aus geologischen Untersuchungen folgerte er, dass Skandinavien und Grönland sich vor
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