Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder
50000 bis 100000 Jahren voneinander getrennt hatten. Bei gleichförmiger Geschwindigkeit würde das eine Verschiebung zwischen 14 und 28 Metern pro Jahr bedeuten– ein Wert, den man damals mit astronomischer Ortsbestimmung durchaus hätte messen können.
Nordamerika und Europa, so meinte er, müssten sich langsamer voneinander entfernen. In den Jahren 1866, 1870 und 1892 hatten Forscherteams die Längengrade in Cambridge (USA) und Greenwich (Großbritannien) sehr genau vermessen. Aus den Messdaten glaubte Wegener eine Drift von vier Metern pro Jahr ableiten zu können. Das hätte allerdings bedeutet, dass die beiden Kontinente erst vor einer Million Jahren auseinandergerissen worden wären, was den paläontologischen Erkenntnissen widersprach.
Wegener war sich bewusst, dass die damaligen Messwerte noch sehr ungenau waren, weswegen er mahnte, es müssten »genauere Feststellungen abgewartet werden, ehe man den Nachweis von Horizontalverschiebungen der Kontinentalschollen im Sinne unserer Hypothese als erbracht ansehen darf«. 13 Heute ist klar, dass Wegener die Verschiebungsraten der Kontinente um das Hundertfache überschätzt hat. Sie liegen im Bereich von einigen Zentimetern pro Jahr und konnten erst lange nach seinem Tod zweifelsfrei gemessen werden. Nach der Veröffentlichung seines Vortrags wollte Wegener weitere Fakten sammeln, um seine Theorie zu stützen. Doch diese Arbeit musste er verschieben, weil eine erneute Grönlandexpedition anstand. Schon im Frühjahr 1911 hatte ihn Johan Peter Koch in Marburg besucht und von einer geplanten Grönlanddurchquerung erzählt. Diesen Wunsch hegte Wegener schon seit seiner Studienzeit, so dass sie sich rasch auf eine gemeinsame Expedition in dieses unbekannte Gebiet einigten.
Geplant war eine Anreise bis in das ihnen wohlbekannte Danmarkshaven. Von dort aus sollte zunächst eine Vorexpedition auf Island stattfinden, vor allem, um den Umgang mit Pferden zu erproben. Das Hauptziel, die Ost-West-Überquerung von Grönland, müsste dann mit einer Überwinterung stattfinden. Hierbei wollten sie die gesamte zwanzig Tonnen schwere Ausrüstung mitnehmen.
Am 21. Juli erreichte das Schiff ›Godthaab‹ Danmarkshaven. Ausrüstung und Pferde wurden entladen und zunächst hundert Kilometer weiter nach Westen bis nach Kap Stop transportiert, wo das Inlandeis begann. Von hier aus musste das gesamte Material auf den Gletscher geschafft werden – ein äußerst mühsames und, wie sich zeigte, auch sehr gefährliches Unterfangen.
Wegener und Kollegen hatten ihre Zelte auf dem Gletscher aufgebaut. In der Nacht zum 30. September schreckten sie plötzlich hoch. »Welch eine Nacht! Es ist ein fast unbegreifliches Wunder, dass wir noch am Leben sind«, schrieb Wegener in sein Tagebuch und fuhr fort: »Ich erwachte vom Krachen im Eise. Daran war nun zunächst nichts Merkwürdiges, das hatten wir ja hier alle Augenblicke tags und nachts, aber das Krachen dauerte an, und bald mischte sich ein anderer, früher noch nicht gehörter Laut hinein. Es war wie ein Sausen und Zischen und Knirschen, anscheinend von der ganzen Gletscherfront herkommend und lange anhaltend. Und in diesen höchst unheimlichen, wenngleich keineswegs ohrenbetäubenden Laut mischte sich das Poltern herabfallender Eisblöcke seitwärts und sogar hinter, also landwärts, dem Zelt. Jede Spur von Schläfrigkeit war wie weggeblasen, es war sofort klar: jetzt kalbte der Gletscher.«
Die Scholle, auf der ihr Zelt stand, schwankte, das Zelt neigte sich, und dann erblickte Wegener im Mondlicht, dass dreißig Meter von ihnen entfernt ein 15 Meter hoher Eisberg in die Höhe ragte: Es war die andere Hälfte ihrer Scholle, die abgebrochen und gekentert war. Überall lagen Eisblöcke herum, und »im Meer wuchs eine Eismauer empor, höher und höher, brausend und zischend … Unsere Zeltscholle war fortwährend in wogender Bewegung«. 14
Es war wirklich ein Wunder, dass niemandem etwas passiert war, auch die Pferde hatten keinen Schaden genommen. Hätten sie einige Meter weiter gecampt, hätten weder Männer noch Tiere dieses bedrohliche Naturschauspiel überlebt.
Anfang Oktober begann die Mannschaft mit dem Aufbau des Winterhauses ›Borg‹. Dabei handelte es sich um einen 6,5 Meter langen und 5,5 Meter breiten Sperrholzverschlag, an dessen Längsseiten eine Vorratskammer und der Pferdestall angrenzten. Vier Bänke dienten tagsüber als Sitzplätze und nachts als Betten, ein Petroleumofen heizte das Domizil, nachts fiel die
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