Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder
Temperatur im Innern trotzdem bis auf minus 10 Grad Celsius. Von der Hütte aus hatten die Männer einen Rundumblick bis zum Horizont, was für die meteorologischen Messungen und Beobachtungen wichtig war. Erstmals führten die Forscher auch Bohrungen im Eis bis in 24 Meter Tiefe aus – ein aufwändiges Unterfangen, bei dem mehrere Male das Bohrgestänge in dem stahlharten Eis abbrach. An den Bohrkernen studierten sie die jahreszeitlichen Schichtfolgen, und im Bohrloch maßen sie den Temperaturverlauf.
Vier Monate lang hausten die Männer während der Polarnacht in dieser Hütte, bis sich am 14. Februar 1913 zum ersten Mal wieder die Sonne für kurze Zeit am Horizont zeigte. »Sonnenschein im Hause! In dieser verräucherten, rußgeschwärzten Giftbude, deren einst weiße Decke längst nicht mehr grau, sondern schwarz, pechschwarz ist – Sonnenschein!«, 15 notierte Wegener in seinem Tagebuch.
Im März ging es dann los. Zunächst wollten sie landeinwärts ein Zentraldepot anlegen, weitere kleinere Depots sollten zusätzliche Lebensmittel enthalten. Einen ersten Versuch mussten sie aufgeben, nachdem Koch zwölf Meter tief in eine Gletscherspalte gefallen war und sich den Unterschenkel gebrochen hatte. Endlich, am 20. April brachen sie zur Durchquerung der grönländischen Eiswüste auf. Rund 1200 Kilometer und bis zu 3000 Meter hohe Berge lagen vor ihnen. Es war ein täglicher Kampf, mal gegen das gleißend helle Sonnenlicht, das die Gesichtshaut verbrannte und in Fetzen herabhängen ließ, anderntags gegen Wind und Schneetreiben. Auf weiten Strecken versanken Mensch und Tier bis zu den Hüften im Tiefschnee. Die endlose weiße Wüste machte die Männerschweigsam, eine Fuchsspur gab ihnen für drei Tage Gesprächsstoff.
Ein Pony nach dem anderen starb vor Entkräftung, so dass die Männer einen Teil des Tierkraftfutters selbst essen konnten. Schließlich war nur noch das stärkste Pferd am Leben: Grauni. Die Männer liebten es und taten alles, um es am Leben zu halten. Sie gaben ihm von ihrem Brot, und als Grauni immer schwächer wurde, schirrten sie ihn vom Schlitten ab und ließen ihn hinterdreintrotten. Schließlich legten sie das schwache Pony sogar auf den Schlitten und zogen es. Am 4. Juli hatten sie sich ihrem Ziel, der Westküste, bis auf sechs Kilometer genähert, alles schien gut auszugehen. Doch für Grauni war es zu spät. Die Männer mussten ihn erschießen. »Der arme Kerl«, schrieb Wegener, »so hat die Wüste noch in letzter Stunde ihr Opfer eingeheimst.« 16
Um ein Haar hätte es die Männer auch noch erwischt. Sie wollten nämlich noch den Küstenort Pröven erreichen. Für diesen Weg hatten sie maximal sechs Tage veranschlagt, doch dann taten sich unerwartete Schwierigkeiten auf. Zerrissene Eisfelder, angeschwollene Bäche und eine zerklüftete Landschaft ließen sie nur langsam vorankommen. Schließlich war der Proviant aufgebraucht, die Kleidung durchnässt, Zelte hatten sie nicht mitgenommen.
Sie waren völlig erschöpft und der Ohnmacht nahe, Koch konnte nichts mehr sehen. Wegener ging es noch am besten, doch auch er schrieb verzweifelt: »Ich will leben, ich will Pröven erreichen, und wenn der Himmel einstürzt.« 17 Rettung nahte in Gestalt des Pastors Chemnitz, der in einem Boot auf dem nahen Fjord unterwegs war, um Konfirmanden einzusammeln. Er hörte das Rufen und die Signalschüsse der Männer und nahm sie auf. Schon drei Stunden später waren sie in Pröven, wo sie die Einheimischen begeistert empfingen und wieder aufpäppelten.
Wegener und seine Freunde hatten auf dem Eis eine doppelt so weite Strecke zurückgelegt wie ihr Vorgänger Nansen imJahre 1888. Wegener sprach später von seiner erfolgreichsten und glücklichsten Unternehmung.
Wieder zu Hause stand nun endlich die verschobene Hochzeit mit Else Köppen an. Seine Stellung als Privatdozent an der Universität Marburg konnte Wegener wiederaufnehmen, sogleich stürzte er sich in die Arbeit. Viele Beobachtungen flossen in sein Buch ›Elementare Theorie der atmosphärischen Luftspiegelungen‹ ein, weitere Ergebnisse veröffentlichte er in den ›Grönländischen Mitteilungen‹. Doch dann unterbrach ein Großereignis der Geschichte seine Produktivität: Der Erste Weltkrieg brach aus.
Es folgten vier Jahre, die Wegener quer durch Europa führten. Zunächst kämpfte er an der Westfront, dann versetzte man ihn in den Heereswetterdienst, wo er in Mühlhausen, Jüterborg und zuletzt in Sofia Dienst tat. Doch auch in dieser Zeit
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