Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder
nutzte er jede Gelegenheit für wissenschaftliche Arbeit. Im Februar 1915 schrieb er, mit der Kontinentalverschiebung mache er gute und unerwartete Fortschritte. Daneben beschäftigte er sich intensiv mit der Schallausbreitung in der Atmosphäre, mit Wind- und Wasserhosen in Europa und der Entstehung der Mondkrater. Hier kam er zu der richtigen Deutung, dass sie die Folge von Meteoriteneinstürzen sind.
Besonderes Interesse erregte der Bericht einer leuchtenden Feuerkugel, die am Nachmittag des 3. April 1916 zwischen Marburg und Kassel über den Himmel raste und von lautem Donner begleitet wurde. Akribisch wie immer wertete Wegener alle verfügbaren Berichte aus und kam zu dem Schluss, dass es sich um einen Eisenmeteoriten gehandelt haben müsse, der in der Nähe von Treysa niedergegangen sei. Tatsächlich fand im Frühjahr 1917 ein Förster den 63 Kilogramm schweren Eisen-Nickel-Meteoriten. Er wurde ins Mineralogische Institut der Universität Marburg gebracht und untersucht. Der Meteorit von Treysa ist heute das bedeutsamste Exponat der Meteoritensammlung des Mineralogischen Museums in Marburg. Sogar ins Guiness-Buch der Rekorde hat er es geschafft: alsDeutschlands größter aufgefundener Meteorit, dessen Absturz beobachtet wurde.
Nach dem Krieg kehrte Wegener nach Marburg zurück, doch im folgenden Jahr ernannte man ihn als Nachfolger seines Schwiegervaters Wladimir Köppen zum Leiter der Abteilung meteorologische Forschung der Deutschen Seewarte in Hamburg. Kurz darauf berief man ihn als außerplanmäßigen Professor an die neu gegründete Universität Hamburg. Wegener zog mit seiner Frau und der vierjährigen Tochter Hilde in das Haus der Schwiegereltern in Großborstel. Als schließlich auch noch Bruder Kurt eine Anstellung in der Seewarte erhielt, war das familiäre Glück perfekt. Und nicht nur das: Wladimir Köppen freundete sich zunehmend mit der Kontinentalverschiebungs-Theorie seines Schwiegersohns an und wurde dessen Mitstreiter.
Schon im Sommer 1914 hatte man Wegener dazu eingeladen, einen ausführlicheren Aufsatz darüber zu veröffentlichen. Der Krieg unterbrach zwar sein Schaffen, aber ein Genesungsurlaub nach einer Kriegsverletzung ermöglichte ihm die Arbeit daran. Im April 1915 erschien das 94-seitige Werk ›Die Entstehung der Kontinente und Ozeane‹. Es bildet einen Wendepunkt in der Geschichte der Erderforschung und gilt heute geradezu als Kultbuch. Exemplare der ersten Auflage sind antiquarisch kaum noch zu bekommen.
Ganz systematisch führte Wegener hierin noch einmal viele Argumente gegen die Kontraktionstheorie ins Feld und erklärte die Theorie der schwimmenden Kontinente. Die Entstehung der Faltengebirge war für ihn ein wichtiger Hinweis auf das Zusammenschieben von Kontinenten: »Auch Tafelländer lassen ja die Faltung des Urgesteins meist noch deutlich erkennen, durch welche sie dem Urmeere entstiegen sind«, 18 schrieb er. Auch auf Bruchstellen, wie die mittelrheinische Tiefebene und die ostafrikanischen Gräben, ging er detailliert ein und fügte eine Reihe von geologischen Befunden an, die dafür sprachen, dass hier Kontinente zerreißen. Das wichtigste Beweismaterialfür seine Theorie sah er jedoch in den paläontologischen und geologischen Gemeinsamkeiten der Kontinente.
Schließlich diskutierte er noch einen weiteren unter Geophysikern sehr umstrittenen Punkt: Sind die beiden Pole in der Vergangenheit gewandert? So hatten einige Wissenschaftler aus Klimaänderungen geschlossen, dass der Nordpol im Laufe des Tertiär (65 bis 2 Millionen Jahre vor unserer Zeit) von der Gegend der Behringstraße um 20 Grad bis nach Grönland gewandert ist. Die Argumentation ist einfach: Es gab Anzeichen für ehemals heiße Klimaphasen in den heutigen Polarregionen (zum Beispiel versteinerte Mammutbäume in Spitzbergen), während es gleichzeitig Hinweise auf Vergletscherungen in der heutigen Äquatorialgegend gab (Moränen in Indien). Ging man davon aus, dass die Kontinente ihre Lage nicht verändert haben, dann mussten sich die Klimazonen verschoben haben, was sich durch eine Wanderung der Pole erklären ließ. Nach Wegeners Theorie war dies gar nicht nötig: Die Kontinente selbst waren durch unterschiedliche Klimazonen hindurchgewandert. Dennoch hielt Wegener eine Polwanderung zum Beispiel als Folge der Kontinentverschiebungen für möglich, weil sich dadurch die Massenverteilung auf der Erdkugel veränderte.
Kaum war sein Buch erschienen, sammelte Wegener aus allen relevanten Disziplinen
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