Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder
Effekt beschreibt, hat Galilei später für die Mechanik verallgemeinert: Wenn sich verschiedene Körper mit konstanter Geschwindigkeit bewegen, lässt sich aus physikalischer Sicht nicht unterscheiden, welcher ruht und welcher sich bewegt. Alles ist nur eine Frage der Bewegungen relativ zueinander – ein Aspekt, der sogar in Einsteins Relativitätstheorie eine bedeutendeRolle spielen sollte. Leider sind keine weiteren Arbeiten von Aristarch überliefert. Nur dem etwa 25 Jahre jüngeren Archimedes haben wir es zu verdanken, dass wir von Aristarchs kühner Hypothese erfahren. In seiner Schrift ›Die Sandzahl‹ schreibt er: »Es wird [von Aristarch] angenommen, dass die Fixsterne und die Sonne unbeweglich seien und die Erde sich um die Sonne, die in der Mitte der Erdbahn liege, in einem Kreis bewege.« Dann fügt er noch an: »Die Fixsternsphäre aber, deren Mittelpunkt im Mittelpunkt der Sonne liege, sei so groß, dass die Peripherie der Erdbahn sich zum Abstand der Fixsterne verhalte wie der Mittelpunkt der Kugel zur Oberfläche.« 4 Vereinfacht gesagt, sind die Fixsterne im Vergleich zum Erdbahndurchmesser fast unendlich weit entfernt. Was hatte es mit diesem Zusatz auf sich?
Aristarch begegnete damit einem Gegenargument der Geozentriker. Wenn sich die Erde um die Sonne bewegt, dann müsste man am Himmel den Effekt der Parallaxe wahrnehmen können. Beobachtet man nämlich in einem größeren zeitlichen Abstand von etwa einem halben Jahr und damit von zwei gegenüberliegenden Punkten auf der Erdbahn aus die Positionen der Gestirne, so müssten diese geringfügig schwanken. Genau genommen sollten sie im Laufe eines Jahres am Himmel eine kleine Ellipse beschreiben. Je näher ein Himmelskörper ist, desto größer erscheint diese jährliche Verschiebung.
Dazu ein Vergleich: Hält man einen Finger seiner Hand vor sein Gesicht und betrachtet ihn abwechselnd mit dem linken und dem rechten Auge, so scheint der Finger vor dem Hintergrund hin- und herzuspringen. Die Augen entsprechen den beiden Erdpositionen auf der Umlaufbahn und der Finger dem Stern. Entscheidend ist nun: Je weiter der Stern entfernt ist, desto kleiner ist dieser Winkel, den die Astronomen Parallaxe nennen. Da diese Parallaxe aber nicht beobachtet wurde, nahm Aristarch an, die Sterne seien so weit entfernt, dass der Parallaxenwinkel unmessbar klein ist.
Dieses Gegenargument wurde von Ptolemaios bis zu Galilei und Kepler immer wieder vorgebracht. Deswegen schrieb auch Kopernikus in ›De revolutionibus‹, dass »die Erdentfernung von der Sonne … im Vergleich zur Kugelschale der Fixsterne nicht in Erscheinung tritt«. 5 Letztlich gelang erst 1838 dem Astronomen Friedrich Wilhelm Bessel die erste zweifelsfreie Messung einer Sternparallaxe – zu der Zeit zweifelte schon längst niemand mehr an der Richtigkeit des heliozentrischen Systems.
Die nicht messbare Parallaxe ließ sich mit der enormen Entfernung der Sterne erklären, aber wie stand es mit der Akzeptanz der Behauptung, die Erde stehe nicht im Mittelpunkt der Welt? Der griechische Schriftsteller Plutarch berichtet mehr als drei Jahrhunderte nach Aristarch, der Philosoph Kleanthes habe die Griechen dazu aufgerufen, Aristarch wegen Gottlosigkeit vor Gericht zu stellen. Ob es zu einem solchen Verfahren kam, wissen wir nicht. Zumindest eröffnet sich aber eine verblüffende Parallele zu dem zwei Jahrtausende später auftretenden Fall Galilei.
Es sprachen nicht nur philosophische und theologische Gründe gegen Aristarchs Hypothese, sondern es wurden auch handfeste wissenschaftliche Argumente gegen sie ins Feld geführt. Ablesen lässt sich dies bei Ptolemaios, der sich in seinem berühmtesten Werk, dem ›Almagest‹, mit der Heliozentrik auseinandersetzte. Interessanterweise erkannte er an, dass sie viele Dinge einfacher erklärt. Die entscheidende Frage für ihn aber war: Wenn sich die Erde innerhalb eines Tages einmal um ihre eigene Achse in Richtung Osten dreht, warum bemerken wir dann nichts davon? Warum ziehen nicht immer alle Wolken mit hoher Geschwindigkeit nach Westen? Warum fällt ein senkrecht nach oben geworfener Stein senkrecht wieder herunter und trifft nicht westlich von uns auf? Schließlich hat sich doch die Erde in dem Zeitraum, in dem er sich in der Luft befand, nach Osten weitergedreht. All diese Einwände waren nach dem damaligen Kenntnisstand durchaus berechtigt.Es bedurfte erst der modernen Physik, wie sie Galileo Galilei und Isaac Newton entwickelt haben, um diese Fragen
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