Genom
auszusehen wie ein Abbild der Büste von Nofretete, die in Berlin ausgestellt wurde – allerdings nur, bis gleich vier davon auf derselben Party auftauchten.
Während sich die Fähigkeiten der Gengenieure und Chirurgen exponentiell verbessert hatten, waren die kosmetischen Veränderungen den praktischen gewichen. Zu den ersten Opfern der neuen, verbesserten Prozeduren waren die traditionellen Sportarten geworden. Auf dem Footballfeld war es in Ordnung, als dreihundert Kilo schwerer Lineman aufzulaufen, doch das alltägliche Leben gestaltete sich überaus unbequem und schwierig. Wo lag der Sinn in einem Meld, das einen zwei Meter groß machte, wenn das nächste die Durchschnittsgröße von Basketballspielern auf drei Meter verbesserte? Man konnte gut Körbe schießen, die meisten Gebäude jedoch nicht mehr betreten. Oder Kleidung kaufen, in einem öffentlichen Transportmittel fahren oder einen Flug überstehen, der länger als zehn Minuten dauerte …
Nach und nach wurden die meisten Melds ganz unausweichlich arbeitsspezifischer. Schlanke, verlängerte Finger für jeden vom Monteur bis zum Klavierspieler. Nachtsicht für jene, die ihren Beruf vor allem nachts ausübten. Eine ordentliche Fettschicht für die Kolonisten in der Antarktis. Ohrverbesserungen für Musiker und Stimmbandanpassungen für Sänger. Professionelle Fahrer konnten auf einmal tatsächlich Augen im Hinterkopf haben, wenngleich das Anpassen der Pläne für die erforderlichen Neuralprozessoren deutlich zeitintensiver und kostspieliger waren als die Installation der zusätzlichen Augäpfel. Zum ersten Mal waren jene, die in der weltweiten Sexindustrie tätig waren, dazu in der Lage … Hier sollte es ausreichen zu erwähnen, dass die Vielzahl und Varianten der Melds nur durch die Fantasie der Menschen, die derartige Modifikationen verlangten, und der Chirurgen, die sie realisieren sollten, beschränkt waren.
Dann gab es da noch die richtig extremen Melds. Jene, die erforderlich waren, um es Exemplaren des Homo terrestrialis zu ermöglichen, auf dem Mars zu überleben. Oder, noch bemerkenswerter, auf dem Titan. Gründlich überarbeitete Menschen, die aber immer noch Menschen waren.
Ingrid Seastrom beugte sich ein wenig vor und betrachtete ihr dreißigjähriges Spiegelbild genauer im Badezimmerspiegel. Auch wenn sie sie weiterhin störte, beschloss sie, ihre Nase in der nächsten Zeit erst mal nicht operieren zu lassen.
Als sie sich ausgehfertig machte, warf sie einen letzten schnellen Blick aus dem Panoramafenster ihrer Wohnung im fünfundachtzigsten Stock, durch das sie die bei Touristen beliebte Altstadt und in der Ferne das Wasser des Atlantiks sehen konnte. Sie zog dieses Panorama dem auf der anderen Gebäudeseite vor, auch wenn Rajeev darauf bestand, dass der Sonnenuntergang, den er von seinem Domizil aus sehen konnte, sehr romantisch sei.
Der Fahrstuhl brachte sie an den beratenden Ärztebüros vorbei, welche die Etagen zehn bis vierzehn belegten. Die sechs untersten Stockwerke des Turms waren von zwei allgemeinen Krankenhäusern belegt, von denen sich eins auf Herzuntersuchungen und das andere auf neuromuskuläre Prozesse spezialisiert hatte. Dazwischen, aber weit unterhalb der Privatwohnungen, befand sich eine kommerziell genutzte Etage mit Lebensmittel- und Elektronikgeschäften, und in den anderen beiden Stockwerken war das Great South Savannah Meld Center angesiedelt. Dort arbeitete Rajeev, während Ingrid sich mit mehreren anderen ein Büro im elften Stock teilte. Ihre Wege kreuzten sich häufiger in einem der vielen Restaurants in diesem Gebäude oder beim Einkaufen als in einer der vielen medizinischen Einrichtungen.
Sie verließ den Fahrstuhl und ging den vertrauten Korridor hinunter, wo sie auf fast ebenso viele Kollegen wie Patienten traf. Beide Gruppen bestanden zu gleichen Teilen aus Naturals und Melds. Naturals operierten Melds und umgekehrt. Wie in jeder erfolgreichen Praxis konnte man unter Ingrids Patienten auch beides finden. Was sie aus der großen Masse ihrer Kollegen hervorstechen ließ und ihrer Praxis einen gewissen Ruf eingebracht hatte, war eine einzigartige Dienstleistung, die nichts mit der Zugehörigkeit zu einer der beiden Gruppen zu tun hatte.
Dr. Ingrid Seastrom machte Hausbesuche.
Trotz der bemerkenswerten Fortschritte, welche die Medizin und das Gengenieurswesen in den letzten Jahrhunderten gemacht hatten, hatte ein wichtiger Patient diesen unnachahmlichen Aspekt von Dr. Seastroms Berufsausübung als
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