Genom
heiß auf sie herab, und die Luft war schwül, aber in dem klimatisierten Transportmittel war es angenehm kühl.
»Wo fahren wir hin?«, fragte sie ihren einstigen Patienten und jetzigen Führer.
Seine Antwort überraschte sie.
»Wir suchen einen Arzt auf«, erklärte er ihr und schien sich an ihrer Verwirrung zu weiden.
»Um die vorübergehenden Änderungen zu entfernen?« Sie deutete auf ihre aufgedunsenen Wangen und ihre veränderte Nase.
»Das wäre nicht gerade klug. Ich weiß von dem Faden, aber du hast mir was voraus, Doc. Ich mag nutzlos aussehen und Dummes tun, oder auch Nutzloses tun und dumm aussehen, aber mir entgeht nicht viel. Ich habe ein verdammt gutes Gedächtnis. Du hast versucht, auf den Faden zuzugreifen, hattest aber kein Glück, ebenso wenig wie dein bedauerlicher Kollege. Daher dachte ich, wir versuchen es mal mit einem anderen Ansatz.«
Das kleine Shuttle lief in den Hafen ein und lud einige gelangweilt aussehende Pendler in Arbeitsshorts und -hemden sowie schützenden Hüten ein. »Was für einen ›anderen Ansatz‹?«, erkundigte sie sich vorsichtig.
»Wenn wir nicht herausfinden können, was sich auf dem Faden befindet, dann können wir vielleicht mehr über seine Zusammensetzung in Erfahrung bringen. Ich denke da insbesondere an das Gerät, das du aus dem Kopf dieses Mädchens geholt hast. Du hast gesagt, es wäre kurz nachdem du mit der Untersuchung begonnen hast verschwunden. Und dass es ›verschränkt‹ war oder etwas in der Art.«
Ingrid nickte. »Das ist korrekt.«
Whispr beugte sich zu ihr hinüber und flüsterte: »Wäre es nicht interessant, wenn noch mehr dieser Dinger im Umlauf wären? Andere Nanogeräte, die aus demselben Material bestehen? Wenn wir einige davon finden, dann könnten wir etwas über die Herkunft des Fadens und vielleicht auch über seinen Zweck herausfinden.«
»Ja.« Ihr Herz machte einen Satz. »Ja, das klingt logisch, Whispr. Falls es wirklich eine Verbindung zwischen dem Gerät und dem Faden gibt, was anhand ihrer Zusammensetzung wahrscheinlich ist. Aber wie können wir das bewerkstelligen, ohne uns in Gefahr zu bringen? Wenn wir eine allgemeine Anfrage an die Medizinergemeinde stellen, würden nicht nur die Behörden, sondern auch die Besitzer des Fadens Wind davon bekommen. Sie würden herausfinden, dass sich jemand dafür interessiert – was auch immer er ist.«
Er grinste, als das Shuttle vom Dock ablegte. »Die Medizinergemeinde, in der ich mich bewege, unterscheidet sich ein wenig von der, die du meinst. Die ›Ärzte‹, die ich kenne, geben ihre Informationen erst weiter, wenn sie vorher dafür bezahlt wurden.« Dann hörte er jedoch auf zu prahlen undmusste peinlich berührt eingestehen: »Ich habe kein Geld, um sie zu bezahlen.«
Sie seufzte resigniert. Sein Geständnis kam nicht gerade unerwartet. »Wir sollen einander doch ergänzen, oder nicht? Du findest jemanden, der etwas über den Faden oder das Implantat, das ich gefunden habe, weiß, und ich werde ihn für das, was er uns sagen kann, entschädigen.« Sie ließ den Blick über die auf Stelzen stehenden Türme und die prachtvolle Art-déco-Revival-Architektur schweifen, die entlang der Kanäle und Lagunen stand, durch die sich das Shuttle bewegte. »Das ist mein Urlaubsgeld, das ich dafür auf den Kopf haue.«
Whispr schwieg einige Sekunden lang und meinte dann überraschenderweise: »Ich schätze, wenn man sich wirklich für die Wissenschaft interessiert – und zwar so richtig –, kommt einem das im alltäglichen Leben gern mal in die Quere.«
Sie hatten die nächste Anlegestelle erreicht, an der sie aussteigen mussten, und sie erwiderte lächelnd: »Whispr, für jemanden, der sich wirklich für die Wissenschaft interessiert, ist sie sein Leben.«
Er nickte und ging voraus über das Deck auf den klimagesteuerten Eingang des nächsten Gebäudes zu. Zu ihrer Rechten sonnten sich drei zwei Meter lange weiße Kaimane am Rand des Shuttledocks. Zwei traurig aussehende Jabirustörche, die aussahen wir Leichenbestatter, die gleich einen Toten einbalsamieren wollten, pickten an den Überresten des Fast-Food-Mittagessens eines Arbeiters herum. Nachdem er seinen Rucksack gerichtet hatte, wurde Whispr langsamer, damit sie ihn einholen konnte.
»Wenn die Wissenschaft eine Lebensweise ist, dann bevorzuge ich den Alkohol«, meinte er entschieden.
Unsicher, ob das als Scherz oder als Kommentar gemeintwar, beschloss Ingrid, diese Aussage zu ignorieren. Sie betraten den unscheinbaren
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