Gentlemen, wir leben am Abgrund
zu trinken.
DANN IST DOOMSDAY. Die Apokalypse beginnt laut Prediger Harold Camping am 21. Mai 2011 um 18 Uhr. Camping hat vorausgesagt, dass zunächst der rechtschaffene Teil der Weltbevölkerung in den Himmel auffahren würde, dann kämen Feuer, Schwefel und Plagen. Seit fast zwei Wochen rasiert sich die Mannschaft nicht mehr. Wir spielen das zweite Spiel gegen Frankfurt an einem Samstagnachmittag, der Weltuntergang wird uns in der zweiten Halbzeit treffen. Jenkins ist wieder dabei. Es hat ihm zu schaffen gemacht, dass Coach Katzurin ihn nicht eingesetzt hat, obwohl er vor dem Spiel erklärt hat, er könne spielen. Er sei fit. DNP stand auf dem Statistikbogen, Did Not Play – Coaches Decision, und auf der Pressekonferenz hatte Katzurin beharrlich von Julius’ Rückenproblemen geschwiegen. Verletzungen werden im Profibasketball selten in ihrer ganzen Tragweite öffentlich gemacht. Teilweise, um die Spieler und ihre Karrieren zu schützen, und teils, um den Gegner über den Zustand des Teams im Ungewissen zu lassen. Jenkins lässt sich oft von kleineren Verletzungen am Training hindern, zu den Spielen ist er oft wieder fit. »Es gibt zwei Arten von Spielern«, hat Katzurin gesagt, als wir zum Bus gingen. »Die einen wollen, und die anderen wollen gewollt werden.«
Der Zustand der Mannschaft ist gut. Heute soll die Welt untergehen, aber Jenkins hat gut trainiert. Schultze hat gut trainiert, aber er wirkt nachdenklicher. Unter dem neuen Coach hat er nach und nach immer weniger gespielt, und obwohl er ein Vorzeigeprofi und eine Motivationsmaschine ist, setzt ihm die Bankdrückerei zu. Er will helfen. Er fragt sich, was er hätte besser machen können und warum er nicht länger spielt. »Ich will irgendwas machen«, sagt er, »irgendwas. Wenn es sein muss, bin ich halt der Buhmann, der jemanden umhaut.« Femerling hat seinen Ärger geschluckt, er hat Professor Mikas Laufprogramm absolviert und beim Mannschaftstraining ebenfalls gut gearbeitet. McElroytrainiert gut, aber er sehnt den Sommer herbei, »I want to go home so bad«, hat er in einem schwachen Moment zu Julius gesagt, »soooo bad.«
Nur Miro Raduljica ist durch die letzten Tage geschlichen. Er bekommt Spritzen gegen die Rückenschmerzen. Das Kreuzbein des Riesen hat sich verschoben und sitzt schief in der Verankerung. Miros unterer Rücken ist bretthart. Die Physios versuchen, die Blockade zu lösen, aber die Schmerzen bleiben. »Die Zwerge können gerade mal ’ne Katze einrenken«, sagt Femerling. »Bei einem Elefanten wird’s schwierig.«
Der Held des letzten Spiels ist schnell ausgemacht. Drei Zeitungen bringen McElroy-Porträts. Die Bildzeitung wiederholt die Klischees, die von schwarzen Profisportlern existieren. Schwere Kindheit. Gott gibt Halt. Will nur Basketball spielen. Er wird richtig als großer Schweiger porträtiert. Ich habe mittlerweile fünf Versuche unternommen, mit ihm zu sprechen, jeder einzelne ist gescheitert.
Der letzte misslingt am Mittag in der Lobby des Andel’s. McElroy ist ein schwieriger Fall. Es gibt Gerüchte, niemand weiß Genaues, niemand will etwas gesagt haben. Gerede gibt es über viele Sportler, vor allem über amerikanische Basketballer. Man schreibt von schwerer Kindheit, Sport und Gott (manchmal hat man damit recht). Man schweigt von Einsamkeit, von Frauen und von Alkohol (der einzigen legalen Droge für Sportler), von Exzess, Religion, von fehlenden Perspektiven, von brennenden Küchen, Anwaltskosten, Familiendramen, Rassismen, Vorurteilen, Verhaftungen. Man schweigt von der Einsamkeit des Basketballprofis in völlig fremder Umgebung, über die Familie in Amerika und den kinderlosen Vater in Berlin-Mitte. Niemand erzählt vom Heimweh des Söldners.
Ich will keine Gerüchte nacherzählen, nehme ich mir vor, ich will McElroy direkt fragen. Die Gelegenheit ist günstig. Wer allseits gelobt wird, will vielleicht erzählen. Gestern haben Bobby und Mac noch Witze gemacht (zwei Cowboys scherzen über ihre Einsamkeit): »Na, Mac, heute Abend wieder mit Johnnie und Jack und Jim um die Häuser?«
»Mit wem?« Mac grinste, weil er wusste, was kam.
»Johnnie Walker«, sagte Bobby, und beide lachten. »Jack Daniels, Jim Beam.«
In der Lobby frage ich Mac vorsichtig nach diesem und jenem, doch die Antworten sind einsilbig und erwartbar. Ich frage das Offensichtliche: seine Tätowierungen und ihre Bedeutungen. Langsam fängt er an, zu erzählen. Er lebt mit seiner ältesten Tochter in den Spielerappartements von Alba
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