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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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Berlin neben der Charité in Berlin-Mitte, seine Frau ist mit dem Rest der Familie zu Hause in Texas. Mac ist ein massiver Mann. Der Name seiner Frau legt sich wie eine Kette um seinen Hals, auf seinen Armen die Namen seiner vier Kinder, das vierte ist gerade erst diesen Winter geboren worden, aber Mac ist der beste Verteidiger der Liga und hat nur ein einziges Training verpasst.
    Auf seinem rechten Arm steht Matthäus 1, Vers 23, zitiert nach der King James Bible. Mac erzählt von seinem immergleichen Gebet vor dem Spiel, von seinem Interesse für Autos, von seinen Kindern. Wir sprechen über deutsche Städte, Köln und Berlin. Wir sprechen über Galveston, Texas, und Gary, Indiana. Vorsichtig erklärt er, wie sich ein Meistertitel anfühlt (er hat zwei Titel gewonnen). Eine Meisterfeier. Und gerade, als ich direkter fragen will, setzt sich Julius Jenkins indie Sitzgruppe nebenan, er kann unser Gespräch mithören. Mac lacht, seine Antworten werden kürzer und kürzer. Ich finde nichts weiter heraus, ich versuche es noch zwei-, dreimal, dann gebe ich auf. Wir müssen zum Spiel. »Matthäus 1, Vers 23«, sagt Mac zum Abschied, Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben, das heißt in Übersetzung: Gott mit uns.
    Alba startet stark, 8:0. Von Anfang an ist Gift im Spiel. Die Frankfurter Nolte und Moss stellen sich gegen Yassin und Miro, aber Moss verletzt sich und muss auf die Bank. Kurz darauf kassiert Nolte sein zweites Foul. Beim 24:18 gibt es die ersten »Yassin, Yassin«-Sprechchöre.
    Aber Frankfurt ackert, Coach Herbert hat ihnen begreiflich gemacht, dass sie ackern müssen, um gegen das Talent und Potenzial dieser wankelmütigen und manchmal doppelgesichtigen Alba-Mannschaft bestehen zu können. In diesem Jahr muss sich Alba in jedem Spiel neu erfinden. Die Frankfurter wissen, wer sie sind. Sie testen die Grenzen der schiedsrichterlichen Toleranz, Muurinen klammert, Nolte schiebt und floppt und ringt ( Nolte: trotzdem sympathisch, notiere ich, die Geschichte vom Underdog ). »Die fangen an zu hacken«, sagt Baldi am Spielfeldrand, »und wir kommen damit nicht klar.« Pausenstand 46:38. In der Kabine warnt Coach Katzurin: »Sie geben nicht auf. Sie werden nicht aufgeben. Erwartet gar nicht erst, dass sie aufgeben!«
    Die Apokalypse startet leicht verspätet. Es ist Viertel vor sieben, als der Weltuntergang beginnt. Die Frankfurter geraten in Foul Trouble. Beim 63:50 hat der Berliner Fanblock ein erstes Lächeln auf den Lippen, beim 67:56 nur noch Spott übrig für den überschätzt erscheinenden Verlierer DaShaun Wood.» M-V-P, M-V-P!«, brüllt Block 212 hinter Baldi und mir, weil der beste Spieler der Liga im dritten Viertel zurückliegt, und alles auf die uneinholbare Führung Albas hinausläuft, aber gebrüllter Spott hat Nebenwirkungen. »Die gehen nicht weg«, sagt Baldi und fährt sich mit den Händen durchs Gesicht. »Die gehen nicht weg.«
    Wood spielt das ganze Spiel unauffällig, aber hart und solide. Wie im Hinspiel scheint ihn McElroy unter Kontrolle zu haben, manchmalübernimmt Jenkins. Die Apokalypse beginnt, als Wood und Jenkins aneinander geraten. Es sieht fast nach einem Kopfstoß aus, von Jenkins oder Wood, das sollen später die Zeitlupen klären. Woods Stirnband rutscht ihm ins Gesicht, beide wechseln bitterböse Worte, Wood wird zurückgehalten und von den Schiedsrichtern mit einem unsportlichen Foul bedacht. Leise schlägt die Stimmung um. Chris Moss rangelt und ringt, er foult Yassin hart, er foult Raduljica härter. Wood foult Rochestie an der Grenze zum Eishockey-Play. »Schlechte Verlierer«, sagt ein Fotograf neben mir und macht Bilder der Entrüstung. Wir sind uns der Führung immer noch sicher.
    Frankfurt geht nicht weg. Woods Körper und sein Gebaren spannen sich, er scheint einen Gang hochzuschalten, er ist jetzt alert und wach, seine Antritte und Tempowechsel kommen völlig unerwartet und zielstrebig. Er scheint in jeder Sekunde des Spiels alle Möglichkeiten im Blick zu haben, er tritt schneller an, er passt und wirft schneller, er scheint schneller zu denken. Jenkins und McElroy haben Schwierigkeiten, ihn zu halten, Wood ist überall. Er passt nach Belieben oder punktet selbst.
    Berlin sieht den Frankfurtern nur noch zu. Wood hat sie hypnotisiert. Die Bankspieler starren. Auch der Fanblock starrt und vergisst, dass Starren nicht weiterhilft. Die Mannschaft erzielt achteinhalb Minuten lang keinen einzigen Punkt,

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