Gentlemen, wir leben am Abgrund
jeder reagiert anders auf Anspannung. Coach Katzurin ist noch während des Essens auf sein Zimmer verschwunden, die Spieler haben eine Weile über dieses und jenes geredet, dann haben auch sie sich in die Doppelzimmer und vor die Fernsehgeräte verabschiedet.
»Ich bin Dominik«, hat der Barkeeper gesagt. Er komme aus Sri Lanka, er habe 10.000 CD s, sämtliche Kuschelrocks und alle Bravo-Hits, ob wir am nächsten Mittwoch unsere 3:0-Siegesfeier bei ihm in der Hotelbar feiern wollten? Worauf Baldi den Kopf schüttelt und sich verabschiedet. Er redet nicht gern von Festen, wenn es noch nichts zu feiern gibt.
Die Stimmung ist gut, die Serie ist völlig offen. Ich habe nachts noch zu schreiben versucht, aber ich habe nur meine Anspannung zu Papier gebracht. Ich habe den Abend vor einer Talkshow zum Thema Seuchen verbracht, Ehec und A/H1N1, ich bin mit Seuchenangst eingeschlafen. Am Morgen dann die Skyline am Horizont, die Spelzen über den Feldern. Es ist jetzt endgültig Sommer. Bis auf einen Übertragungswagen und ein paar Kinder in Badehosen ist der Parkplatz leer, als wir an der Halle ankommen. Das Silobad Frankfurt-Höchst nebenan leert sich. Die Kinder lecken langsam ihr Zitroneneis und beobachten uns. Die slowenischen Kinder aus Kranjska Gora fallen mir ein. Der Sommer liegt ausgestreckt vor ihnen. Sie sehen zu, wie die Mannschaft nach und nach aus dem Bus klettert und im Hintereingang der Ballsporthalle verschwindet.
Defensive key: be aggressive. Konsti hat seine Plakate im Hotel gemalt und sie in der Kabine an die Wand geklebt, karierte Maritim-Hotel-Zettel. Hi-Un Park legt seine Spritzen parat, riesige pinke Kanülen für McElroys und Jenkins’ Rücken. Die Spieler kommen zurück aus der Halle. Derrick ist verschwitzt vom Händeschütteln. Yassin sagt nichts, und Yassins Schweigen ist ein zuverlässiges Barometer für die Konzentration.
Der Coach betritt die riesige, frisch renovierte Kabine. Er läuft durch den Raum, als suche er die richtige Position für seine Ansprache, hin und her läuft er, dann bleibt er vor Konstis Plakaten stehen.
»Guys«, sagt Katzurin, »das letzte Mal, als wir hier waren, warenwir soft. Diese Mannschaft ist eigentlich zu klein. Aber sie sind aggressiv. Sehr aggressiv! Sie attackieren!« Der Coach dreht sich zu Konstis Poster um, er liest, dann macht er einen Schritt in den Raum. McElroy nimmt einen Schluck Red Bull. »Wir müssen noch aggressiver sein. Wir müssen sie attackieren. Wir müssen den Rebound kontrollieren. In der Verteidigung keine billigen Fouls. Ganz einfach, es gibt keine Entschuldigung. Eine Sache noch: Wir müssen kommunizieren. Jeder muss wissen, was passiert. Kommunikation ist einfach. Gute Kommunikation ersetzt fünf Tage Training.«
Jemand furzt. Niemand lässt sich etwas anmerken, alle bleiben bei ihrem steinernen Blick. Die Kabine stinkt gottserbärmlich. Es ist eine absurde Situation. Jeder rät, wer es gewesen sein könnte. Ein paar blicken zu Yassin, aber Yassin ist konzentriert, er hat bereits seinen Zahnschutz in der Hand. Andere blicken zu Staiger, aber der träumt vor sich hin.
Mir wird plötzlich bewusst, dass ich mich in der Wirklichkeit befinde. Ich war nie beim Militär, aber jetzt stecke ich mitten in einer ganz realen Männerwelt. Vor dieser Saison hatte ich mit maskulinem Hochglanz gerechnet, mit immer währender sportlicher Ernsthaftigkeit und großen Gefühlen. In entscheidenden Momenten wie diesen hatte ich prägnante Worte erwartet. Ich hatte mit einer Filmwelt gerechnet und befinde mich im wirklichen Leben. Sport stinkt. Auch der Coach wahrt die Fassung (Katzurin kennt diese Welt).
»Guys, ich wiederhole noch mal. Das ist ein Männerspiel. Das sind die Playoffs. Es ist Halbfinale. Wir haben es in der Hand. Seid hart, seid konsequent. Beschwert euch nicht. Heult nicht rum. Wenn ihr foult, foult hart. Schickt sie zu Boden. Ich will keine weichen Fouls. Sie machen das genauso. Erwartet keine Blumen von ihnen.«
Coach Katzurin nimmt eine Flasche Wasser in die Hand, schraubt sie auf, stellt sie dann aber wieder zurück auf den Boden. »Dieses Spiel wird in der Verteidigung entschieden. Drei Sachen also. Wir müssen härter sein als sie, wir müssen den Rebound kontrollieren. Und Wood. Ganz einfach. Ganz einfach . Guys, bringt euch in die richtige Stimmung. Wir brauchen den Geist. Wir brauchen ein Team.« Coach Katzurin hält den Spielern die Faust hin, Derrick erledigt den Schlachtruf. Dann ist es plötzlich leise in der Kabine.
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