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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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»Sieben Minuten, Jungs«, sagtKonsti. In sieben Minuten darf das Team laut Ablaufplan in die Halle, in sieben Minuten beginnt das Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft.
    Ich mache ein Foto, das Klicken der Kamera ist lauter als erwartet. »Schalt das Ding ab«, Bryce Taylor lacht und nimmt mir mein Aufnahmegerät aus der Hand. Als er hineinspricht, klingt er wie der Coach. »No more talking«, sagt er. »No. More. Talking.«
    »Wir sind hier nicht auf einem Kindergeburtstag«, krakeelt der Hallensprecher in den Popcorngeruch. Wir sind in der letzten Viertelpause und Frankfurt führt mit 62:56. Das Spiel ist hart, unter den Körben fliegen die Fetzen. Frankfurt spielt mit kleiner Aufstellung, und Wood erzielt nur wenige Punkte, aber er spielt gute Pässe und macht seine Mitspieler besser. Der Verteidiger Bahiense de Mello trifft in der ersten Hälfte bereits vier Dreipunktewürfe.
    Minutenlang hat Alba ein Mismatch, wenn der kleine Wood gegen den zehn Zentimeter größeren Bryce Taylor verteidigt, aber wir bringen den Ball viel zu selten zu Bryce. Raduljica müsste seinen Frankfurter Gegenspieler von Größe, Gewicht und Talent um ein Vielfaches überlegen sein (Raduljica verdient in Istanbul zehnmal so viel wie Nolte), aber die kleinen Frankfurter Center tragen Schicht um Schicht seiner Konzentration ab. Moss und Powell ringen, kickboxen und unterlaufen, Muurinen klammert und wickelt sich um Miros Rumpf, Arme und Beine. Er hängt an seinem Hals. Die Schiedsrichter könnten ständig pfeifen, aber bleiben stumm, als wüssten sie nicht, welches der unzähligen Fouls sie bestrafen sollen.
    Im dritten Viertel wird den Frankfurtern nur ein einziges Foul gepfiffen. Miro spielt noch einen grandiosen schnurgeraden Pass zu Tadija, die Halle staunt angesichts von so viel Auge und Kraft, aber nur Sekunden später versucht er, einen Ball zu retten, hechtet ins Aus und landet seltsam verdreht auf der Seite. Erst Wochen später wird der Schmerz verschwunden sein. Femerling ist in Berlin und läuft mit Wut im Bauch Professor Mikas Shuttle Runs, also richten sich alle Augen auf Yassin Idbihi.
    In der Halbzeit explodiert Coach Katzurin kurz und laut. »Konzentriert euch! Versteht ihr nicht, gegen wen wir hier spielen? Das Wesen von Frankfurt ist Aggression! Um Himmels willen! Konzentriert euch! Focus! Focus! Focus! Seid nicht so naiv!« Konsti erledigt die Details. »Yassin, die haben keine Ahnung, wie sie bei Two Down den Outside Pick verteidigen sollen. Die sind da nicht organisiert. Achte drauf«, und »De Mello ist ein reiner Schütze, also steht nicht tief!«
    Jetzt folgt das entscheidende Viertel, jetzt krakeelt der Hallensprecher und die Halle gerät in Erregung. Die mitgereisten Berliner brüllen gegen die irgendwie synthetische Geräuschkulisse an, »wir sind hier nicht beim Kindergeburtstag!«, brüllt der Hallensprecher noch einmal, diesmal in ohrenbetäubender Lautstärke.
    Ich sitze heute auf den Presseplätzen, links vor mir Baldi, heute leicht blass um die Nase. Jenkins und Miro sind ans Ende der Bank gerutscht, sie werden das Spielfeld heute nicht mehr betreten.
    Baldi leidet, die Kulisse dreht auf. Katzurin schickt vier Guards und Yassin aufs Spielfeld. Es sind die Sekunden, in denen das Spiel kippen könnte.
    Und das Spiel kippt. McElroy trifft gleich im ersten Angriff einen Dreier, den er sonst nicht nehmen, geschweige denn treffen würde, 59:62, und gleich im nächsten Angriff legt Bryce nach, 62:62, ein 34-Sekunden-One-Two-Punch, der das Spiel ausgleicht.
    Die Spannung ändert sich, in der Halle mischt sich ein säuerliches Toben unter den süßlichen Popcorngeruch.
    Bei einem Zusammenstoß mit McKinneys Ellenbogen platzt McElroys Lippe. McElroy lässt sich in einer Auszeit von Hi-Un zusammentackern und spielt weiter, er trifft einen Step-Back-Dreier mit einem Mullschwamm voller Blut im Mund.
    Yassin ist ein Riese unter Zwergen, an ihm wird gezogen und gezupft, aber er ist heute ganz bei sich. Er lässt sich nicht beeindrucken. Er blockt einen Wurf von Wood so vehement gegen das Brett, dass der Ball zurück an die Mittellinie fliegt. Die fünfzig Gelben drehen durch. Dann trifft er einen schwierigen Hakenwurf, wird dabei gefoult und verwandelt auch den Freiwurf.
    Dreißig Sekunden vor Schluss hat Alba einen Punkt Vorsprung und 24 Sekunden, um abzuschließen. Die Uhr tickt, der Ball kommt zuBryce, er sieht kurz auf und nimmt den Kopf gleich wieder hinunter. Wir alle stehen längst, Frankfurter und Berliner,

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