Gentlemen, wir leben am Abgrund
der Kommentator für den Fernsehsender Sport 1. Er will wissen, warum sein Schützling ausgewechselt wird. Baldi spricht leise. »Es geht hier nicht mehr ums Reden«, sagt er und klingt dabei, als ringe er um Contenance, er wird langsam deutlicher und lauter, als wir die Raststätte Taunusblick passieren, schreit er fast. »Es geht ums Spiel … es geht hier nicht um Schönheit, es geht um die Playoffs … Wir spielen um unseren Arsch … Wir können nicht rumheulen, wir müssen uns durchsetzen … Wir müssen nicht darüber diskutieren, dass er der beste Center ist, der jemals bei Alba … Wir müssen nicht diskutieren und philosophieren, wirmüssen uns durchsetzen … das Beste für ihn? … Wir spielen um unsere Zukunft, nicht nur um seine … Wenn du ihm da helfen kannst … Das Beste für ihn ist, sich durchzusetzen …« Baldi wird wieder leise und legt dann auf.
»Die Rolle des Managers ist es«, sagt Baldi, als ich ihn später auf das Telefonat anspreche, »dass Autoritäten und Hierarchien gewahrt bleiben. Ich rede nicht mit den Spielern über ihre Probleme. Das machen der Coach und der Teammanager. Sonst brechen die Dämme. Und wenn das nicht Adi gewesen wäre, sondern irgendein Agent, dann hätte ich ihn gefressen.« Baldi lächelt. Die Haut wird dünner, die Nerven liegen blank.
Am Eingang der Halle stehen heute doppelt so viele Fans wie letzte Woche. Die Identifikation, von der Marco Baldi in Sevilla gesprochen hat, scheint zu wachsen. Die Jungs vom Block 212 haben ihr Megafon mitgebracht. Die Geschäftsstelle ist angereist und sitzt hinter der Spielerbank. Im Kabinengang zerreißt der Doc eine Klatschpappe mit dem Logo der Frankfurter darauf. Er ist sich der Symbolik nicht bewusst, er braucht einen Trichter für die Elektrolytgetränke. Der Frankfurter Power Forward Roger Powell sieht die zerrissene Pappe und guckt grimmig unter der Schutzmaske für sein gebrochenes Nasenbein hervor. »I don’t like that shit«, murmelt er.
Femerling ist wieder dabei, es ist seine erste Auswärtsfahrt seit Monaten, man sieht ihm seinen Willen an. Vor wichtigen Spielen bekommt sein Gesicht eine fast wächserne Blässe, er bändigt seine Haare mit Gel, und der Schweiß steht ihm auf der Stirn. Beim Morgentraining hat er versucht, die Stimmung aufzulockern, er stakste und scherzte beim Aufwärmen. Er ist der Kapitän dieser Mannschaft, seine Achillessehne ist wieder intakt, und jetzt will er zurück auf die Brücke. Aber dann ermahnte ihn der Coach, als wäre Femerling eine Nachwuchskraft. »Patrick, mir wäre es lieber, wenn du normal laufen würdest. Und benimm dich nicht wie ein Clown.« Femerling hielt an, sichtbar in seinem Stolz verletzt, als Basketballer, als Kapitän, wohl auch als Rekordnationalspieler, vielleicht sogar als Mann und Familienvater. »Ich bin kein Clown«, sagte er ehrlich entrüstet. Coach Katzurin ruderte sofort taktisch klug zurück. »Du bist kein Clown, aber du benimmst dich wie einer«, sagte er wie ein Lehrer, der das Grundvertrauen seines Schülers nicht erschüttern will (nicht du selbst bist schlecht, sondern das, was du getan hast). Femerling lief weiter. Er wirkte umso konzentrierter.
Immanuel McElroy hat das Interesse der Presse an ihm mit Schweigen vertrieben. Auch ohne geschwollene Lippe würde er nicht sprechen wollen. Er ist froh, dass es weitergeht.
Yassin Idbihi ist das Gegenteil von McElroy. In den bisherigen Spielen der Serie war Yassin die große Konstante. Er hat sich in den vergangenen Monaten stetig verbessert und sogar seine eigenen Trainer überrascht. Er hat Geduld bewiesen und Kampfgeist. Das Bild vom Spielende in Frankfurt ist in allen Köpfen: Yassin mit erhobenen Armen und dem Ball in Siegerpose. Die Journalisten hören genau zu, wenn er spricht, weil seine Worte gute Geschichten bilden. Yassin lacht und gibt Auskunft. Es ist die beste Phase seiner Karriere, er beweist sich auf der großen Bühne.
Seine Gelassenheit war mir schon in den ersten Trainingseinheiten aufgefallen. Yassin hatte einen Dreijahresvertrag in Berlin unterschrieben. Seine Familie hat sich in Berlin eingelebt, er mag die Stadt und war erstaunt, dass ihm sein Wunsch nach Kontinuität anfangs als Trägheit ausgelegt wurde.
In aller Gelassenheit hat er sich vor ein paar Tagen entschieden, dem Bundestrainer für den Sommer und die Europameisterschaft in Litauen abzusagen, weil seine Frau Kim das zweite Kind erwartet.
»Sie sind der beste deutsche Spieler auf Ihrer Position«, sagt ein
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