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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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Büro saßen zwei Männer zwischen halb gepackten Kartons an ihren Schreibtischen. Pavi ć evi ć im Unterhemd, unrasiert und knochig, Füße auf dem Kirschfurnier, ein Telefon am Ohr, ihm gegenüber ein älterer Herr mit Brille auf der Nasenspitze, ein sympathisches und irgendwie professorales Lächeln. Pavi ć evi ć hob die Hand und bedeutete mir, ich solle kurz warten. Er sprach serbisch mit irgendwem, manchmal wechselte er ins Englisch, er fluchte. Jeder, der einmal Basketball gespielt hat, kennt diese jugoslawischen Flüche, јебeм ти мajк , fick deine Mutter, Иди у пичку лепу материну . Der Coach nickte, notierte, warf Spielernamen in den Raum, fluchte weiter. Die Fenster standen sperrangelweit auf, Wespen flogen rein und raus. Der Professor drückte auf einer Sportuhr herum, manchmal tippte er mit spitzen Fingern ein paar Worte in den Computer und schrieb Zahlen in ein Formular.
    Auf dem Tisch vor Pavi ć evi ć stand ein tragbares DVD – Gerät, man hörte das leise Quietschen von Turnschuhen und den Applaus eines Publikums. Der Professor erhob sich, nahm die Brille ab und steckte sie in seine Hemdtasche. Er gab mir die Hand, nickte höflich, die Brille fiel zu Boden. Der Professor lächelte und hob sie beiläufig wieder auf.
    »Your name Thomas?«
    »Yes.«
    »Švraka.«
    »Švraka?«
    »Yes. Athletic trainer. Mika.«
    »Nice to meet you, Mika.«
    »Yes. Maybe.«
    Pavi ć evi ć telefonierte ungerührt weiter. Professor Mika ließ wieder seine Brille fallen und hob sie lächelnd wieder auf. Ich hatte den Eindruck, vor einem Rätsel zu stehen. Hinter Pavi ć evi ć stand ein Regal voller Sachbücher: Biografien von Larry Bird und Bill Russell, :07 Seconds or less von Jack McCallum, A Season on the Brink von John Feinstein. Life on the Run von Bill Bradley. In der Ecke des Zimmers lehnte ein Flipchart mit Spielernamen an der Wand, rot und schwarz, einige eingekreist, andere durchgestrichen, einige kannte ich, von anderen hatte ich noch nie gehört.
    PG S. Hamann
    T. Rochestie
    C Chubb
    H. Schaffartzik Ank
    Bryce T ????
    Irgendwann legte der Coach sein altes Mobiltelefon zur Seite, fegte eine Wespe vom Tisch und stand auf. Er kramte in einem der Kartons, er nahm ein Hemd heraus und sah mich an. »A writer, uh? Let me put on a shirt. I’m Luka.«

    Bei unserer zweiten Begegnung erklärte mir der Coach seine Regeln. Er empfing mich im brandneuen Alba-Trainingszentrum in Berlin-Mitte. Das Trainingszentrum war eine aufwendig renovierte DDR – Turnhalle inmitten der Hochhäuser an der Leipziger Straße. Es gab riesige Umkleiden, hervorragendes Parkett, nagelneue Korbanlagen und einen hochmodernen Kraftraum. Hier trainierten die Profis. Und wenn sie nicht in der Halle waren, spielten hier die Jugendteams, Kindergruppen und Senioren. Pavi ć evi ć und seine Trainer waren umgezogen, um immer bei der Mannschaft sein zu können. Die Kartons aus der Geschäftsstelle standen unausgepackt im Büro. Der Coach saß in seinem drehbaren Chefsessel aus weißem Leder, ich stand davor wie ein Praktikumsbewerber. Auf dem Fensterbrett neben Lukas Schreibtisch stand eine geschmacklose Dekoflasche Obstbrand mit einem gläsernen Basketballspieler darin, der auf einen gläsernen Korb warf (Flaschenpost). Am anderen Ende des Zimmers raschelte der Assistenztrainer Dejan Mijatovi ć in seinen Unterlagen. Lukas zweiter Assistent und Videokoordinator Konstantin Lwowsky sah verstohlen auf seinen Bildschirm. Professor Mika suchte seine Brille.
    »Sit«, sagte der Coach, also setzte ich mich.
    Pavi ć evi ć erhob sich und zählte auf, er legte Pausen zwischen seine Sätze, er wartete auf mein Nicken: »Eins: Du sitzt bei den Trainern. Im Bus, im Flugzeug, beim Essen. Zwei: Wir sind immer pünktlich. Drei: Unter keinen Umständen störst du den Rhythmus des Teams. Seine Konzentration. Vier: keine Interviews mit Spielern an Spieltagen. Fünf: Ich entscheide, wann du dabei bist. Sechs: Während der Saison bleibt alles in der Kabine. Sieben: Im Trainingslager in Kranjska Gora tragen wir Mannschaftsuniform, Alba-T-Shirt und Alba-Hose, alles Adidas, Tommy gibt dir dein Zeug. Acht: Du folgst unseren Regeln. Neun: Ich kann das alles jederzeit beenden.« Pavi ć evi ć ging langsam zurück zu seinem Tisch, setzte sich wieder in den weißen Sessel und legte die Füße hoch. Der Coach sah mich einige Sekunden lang an, er schien darauf zu warten, dass ich den Blick senkte, dann grinste er. »Zehn«, sagte er, sein

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